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„Jeder stirbt für sich allein“
Foto: Thilo Beu

Ob Widerstand zwecklos wird

29. März 2018

„Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada in Bonn – Theater am Rhein 04/18

Ein Haus, das nur aus blanken Fensterscheiben besteht, macht es ziemlich unmöglich Privates privat zu halten. Es ist ein Endpunkt, ein gläserner Käfig, es ist freudloser Endpunkt eines totalitären Systems, das seine Bürger nicht nur mit Gewalt bei der Stange hält, sondern auch mit Furcht. Die zu überwinden, kostet mehr, als eine deutsche Hoffmann von Fallersleben-Bearbeitung im Kopf zu bewegen. Da zählen nur noch Taten.

Genauso ein gläsernes Gefängnis steht in den Bad Godesberger Kammerspielen. Warum es „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada in den Bonner Spielplan geschafft hat, erschließt sich erst einmal nicht. Der Widerstand des Ehepaars Quangel erscheint auch heute noch fragwürdig, da er sich erst regt, als der eigene Sohn gefallen ist. Bis dahin waren sie als literarische Vorlage angepasste Bürger, beide dem System ergeben oder besser im System nie aufgefallen. Ein banales: Wehret den Anfängen? kann es also nicht sein. RegisseurinSandra Strunz hält ihre Inszenierung denn auch lieber ziemlich poetisch in der Waage zwischen Gewalt und Betroffenheit. „Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht, Ob wir leben wollten oder lieber nicht.“ Zwei männliche Paradiesvögel in Frauenkleidern intonieren den Song „Wenn ich mir was wünschen dürfte“(1931) von Friedrich Hollaender, im Glashaus tanzt die Bagage. Anna Quangel (Sylvana Krappatsch) erfährt vom Ehemann Otto vom Heldentod für nix ihres Sohnes Klein-Otto. Die kleinbürgerliche Welt zerbricht, die Marionetten werden sichtbar, Otto hängt seine Gattin mit den Füßen ans Fensterkreuz, die Fast-Schwiegertochter macht in einer kommunistischen Zelle mit. Hier hat die Performance noch Dampf in der Choreografie, selbst wenn die Bewegungen bedächtig werden. Die Helfershelfer haben derweil ein tolles Leben, Nachbarn plündern bei Nachbarn, diese Juden im ärmlichen Wohnblock waren ja alle Millionäre.Alois Reinhardt als Lore Rosenthal schleicht sich davon und aus dem Leben, ein Dasein zum Überleben im Dunklen will sie nicht. Mann im Knast, Wohnung leergeräumt, die Gestapo wartet schon. Geschichtsunterricht in tollen Kostümen und Alois Reinhardt wird wiederkommen als Obergruppenführer Prall.

Ab jetzt werden die Abläufe immer vertrackter, selbst die Sprache der Gliederpuppen verholzt. Einzig Otto Quangel, der biedere Inbegriff deutscher Spießbürgerlichkeit hält sein Bewegungsmuster grandios bei. MutterQuangeldagegen wird immer zappeliger vor Tatendrang. Doch Matthias Breitenbach bleibt ein Fels mit Hosenträgern in der Brandung aus dieser Mischung aus Dummheit und Brutalität, die Alois Reinhardt jetzt über die Rampe spuckt. Mitläufer, Kleinkriminelle, Spitzel, sie alle stützen das Sieg Heil dieser skurril-grotesken Tattoo-Boys, die mit Mord und Totschlag den Kampf gegen die Maschinen verhindern und natürlich die Macherdieser handgeschriebenen Postkarten, die zum Widerstand gegen das Regime aufrufen, mundtot machenwollen. Wie wir aus der Historie wissen, gelingt ihnen das. Auch wennSandra Strunz mit Dramaturgin Viola Hasselberg den 700-Seiten-Berg auf zweieinhalb Stunden eingedampft hat, mal Shakespeare zitiert oder Martin Wuttkes Arturo Ui-Hund, so lang muss das nicht sein, und ich muss auch kein Horst-Wessel-Lied haben. Nur für den Kick, für den Augenblick?

„Jeder stirbt für sich allein“ | R: Sandra Strunz | Fr 13.4., Sa 21.4., Do 26.4. je 19.30 Uhr, So 29.4. 18 Uhr | Theater Bonn, Kammerspiele | 0228 77 80 08

PETER ORTMANN

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