Zelten ist auch schön – und kann dem etwas verwöhnten Düsseldorfer Bildungsbürgertum am Anfang auch nicht schaden. Wilfried Schulz, der neue Schauspielintendant der Landeshauptstadt, beginnt seine Intendanz in einem Theaterzelt auf dem Corneliusplatz. Direkt am Beginn der Königsallee und in unmittelbarer Nähe der Oper. Man kann diesen Standort auf vielfältige Weise interpretieren: Am Anfang allen Konsums steht die Kultur; Kulturinstitutionen müssen zusammenhalten, oder bürgerlicher Standort mit garantierter Unbequemlichkeit – dort jedenfalls startet das neue Düsseldorfer Team mit einer Dramatisierung des „Gilgamesh“-Epos (R: Roger Vontobel), dieses mesopotamisch-babylonischen Mythos‘ von vor 4000 Jahren. In dessen Zentrum steht der gleichnamige grausame Herrscher, der über die Stadt Uruk regiert und dem die Götter als Korrektiv den wilden Enkidu an die Seite stellen. Zwischen Despot und Ratgeber entwickelt sich eine merkwürdige Freundschaft. Das Erzählen von Geschichten mit allen Ups and Downs menschlicher Empfindung steht am Anfang in Düsseldorf.
Intendanzstarts sind Zeiten der Überforderung, für das Ensemble wie für die Zuschauer. Neun Premieren in 12 Tagen haut das Düsseldorfer Schauspielhaus zur Eröffnung raus. Darunter allein vier Produktionen für Kinder und Jugendliche. Neben Stücken für Pänz ab vier und sechs Jahren gibt es einen „Sommernachtstraum“ mit Jugendlichen (R: Joanna Praml) sowie Glenn Waldrons „Natives“ (R: Jan Friedrich) vom Jungen Schauspielhaus, das jetzt wieder unter seinem früheren Leiter David Fischer-Fels steht. Mit dem „Sommernachtstraum“ stellt sich zugleich die neue Bürgerbühne vor. Ein Konzept, das Schulz bereits in Dresden erfolgreich erprobt hat. Bürger aus dem Raum Düsseldorf mit und ohne schauspielerische Kenntnis erarbeiten unter Anleitung von Profis Inszenierungen und bringen sie auf die Bühne.
Dass Wilfried Schulz dem Düsseldorfer Publikum erst einmal Zucker gibt, ist unverkennbar. Da die Sanierung des Haupthauses die Gefahr in sich birgt, dass viele Zuschauer erst einmal weg bleiben, muss das nicht schlecht sein. Im Theaterzelt wird gleich anschließend an „Gilgamesh“ die ganze Familie zum Abenteuer eingeladen: Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ (R: Peter Jordan und Leonhard Koppelmann) soll als gewaltiges Spektakel für Unterhaltung und zirkushafte Atmosphäre sorgen – schließlich gehören Reisen, ob reale oder imaginative – von „Faust“ bis „Peer Gynt“ zum Grundthema des Theaters. In der Spielstätte Central kommen dagegen zum Auftakt die Klassiker zu Ehren. Die junge Regisseurin Bernadette Sonnenbichler inszeniert Shakespeares Klassiker „Romeo und Julia“ über die Liebe zweier junger Menschen aus zwei verfeindeten Familienclans. Und der schwedische Regisseur Linus Tunström, der das Theater Uppsala leitet, bringt Nikolai Gogols absurde Komödie „Der Revisor“ über Korruption und Vorteilsnahme in der Bürokratie auf die Bühne.
„Gilgamesh“ und weitere Inszenierungen | ab 15.9. | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11
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