Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.558 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Liana Aleksanyan und Felipe Rojas Velozo als Violetta und Alfredo
Foto: Jörg Landsberg

„La Traviata“ zu Zeiten des Penicillins

29. Mai 2012

Josef Ernst Köpplinger inszeniert in Essen - Oper in NRW 06/12

Man stelle sich vor, die Traviata hätte sich die Schwindsucht nicht Mitte des 19., sondern in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eingefangen. Die Rettung wäre nah gewesen, 1928 entdeckte Alexander Fleming das Penicillin, das erste breit wirkende Antibiotikum. – Doch stimmt das überhaupt? De facto hätte die Traviata nicht viel von Flemings Entdeckung gehabt. Denn bis die ersten Tuberkulosekranken davon profitieren konnten, sollten noch 15 Jahre vergehen. Die Edelkurtisane wäre bei fortgeschrittener Erkrankung auch in den 1920ern wahrscheinlich gestorben. Ein Überleben der tragischen Titelfigur kann außerdem selbst bei einem gewagten Regiekonzept keine ernsthafte Option darstellen.

Also warum, fragt man sich, konstruiert Josef Ernst Köpplinger diesen Zeitsprung? Eine substanzielle Antwort wird seine Inszenierung an der Essener Aalto-Oper schuldig bleiben. Also bleibt am Ende der Eindruck: Hier sollte vor allem ein Anlass für eine dekorative Kulisse gefunden werden. Bühnenbildner Johannes Leiacker baut ein edles Zauberberg-Sanatorium mit Alpen-Kulisse, aus dem heraus die sieche Violetta ihr Leben Revue passieren lässt. Seine These von der nahen potenziellen Rettung für die Kranke demontiert der Regisseur somit schon während der Ouvertüre. Seine Violetta hat ganz offensichtlich bereits mit ihrem Leben abgeschlossen. Und nicht nur die Figur ist (zum Tode) verurteilt, Sopranistin Liana Aleksanyan ist von der Regie auch dazu verdammt, bis zum bitteren Ende in einer unvorteilhaften Kombination aus Pyjama und Morgenmantel auf der Bühne zu stehen. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass Köpplinger den Dreiakter in gut 100 Minuten durchspielen lässt – eine gute und konsequente Entscheidung. Die darstellerische Entsprechung ihres Kostüms liefert Aleksanyan indes nicht. Sie wirkt weniger wie eine Leidende als vielmehr seltsam unbeteiligt. In Tenor Felipe Rojas Velozo findet sie einen unrühmlichen Gegenpart. So gern man den beiden zuhört, so uninteressant ist es, sie auf der Bühne zu sehen. Unbeholfen laufen sie nebeneinander her und liefern Rampengesänge. Selbst im Moment des Todes der Violetta bleibt Alfredo auf Abstand. Bei den Protagonisten versagt Köpplingers Personenführung vollständig. Die Figur des Vaters Giorgio Germont macht da keine Ausnahme – obwohl auch Mikael Babajanyan eine ordentliche Partie singt. Er ist ein herzloser Machtmensch. Das ist plausibel, aber nicht spannend.

Köpplingers Stärke sind die Massenszenen, die er mit kleinen Balletteinlagen, einigen splitternackten Statisten und halbnackten Statistinnen würzt. Hier stimmt die Dynamik, Identifikationspunkte aber bleiben aus, die kleineren Rollen gehen gar unter. Im Ganzen bleibt die Inszenierung steif und gestelzt. Musikalisch vermögen die Essener Philharmoniker mit Volker Perplies am Pult und auch ein überzeugender Chor für vieles zu entschädigen. Ergriffen wird man von dieser „Traviata“ leider nicht.

„La Traviata “ I Fr 22.6. 19.30 Uhr I Aalto Theater Essen I 0201 812 22 00

Karsten Mark

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Civil War

Lesen Sie dazu auch:

Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24

In neuem Licht
Das Aalto-Theater zeigt Verdis „Simon Boccanegra“ – Oper in NRW 01/23

Bauernschwank in der Mehrzweckhalle
Das Regieduo Skutr inszeniert „Die verkaufte Braut“ in Essen – Oper in NRW 01/18

Jack Sparrow singt Oper
Guy Joosten inszeniert „Die schweigsame Frau“ in Essen – Oper in NRW 04/15

Besoffen durch die Apokalypse
Mariame Clément inszeniert Ligetis „Le Grand Macabre“ in Essen – Oper in NRW 03/15

Ritter mit Frauenstimmen
Jim Lucassen inszeniert Händels „Ariodante“ in Essen – Oper in NRW 06/14

Eine neue Chance für die Fremde
Christof Loys spätes Regie-Debüt in Essen – Oper in NRW 04/14

Die Leiden der jungen Charlotte
Jules Massenet Oper Werther – Opernzeit 12/13

Schaltzentrale der Macht
Hilsdorfs Abschiedsvorstellung mit Verdis „Räubern“ in Essen – Oper In NRW 07/13

Party-People mit Chaos im Kopf
Jetske Mijnssen inszeniert Mozart in Essen – Oper in NRW 08/12

Mord in düsterer Spelunke
Dietrich Hilsdorf inszeniert „Hoffmanns Erzählungen“ in Essen - Oper in NRW 04/12

Suche nach dem verlorenen Selbst
Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Aalto Theater Essen – Opernzeit 03/12

Oper.

Hier erscheint die Aufforderung!