Für den dritten Kunstsalon-Theaterpreis am waren auf der Grundlage von 18 Bewerbungen drei Produktionen freier Kölner Theatermacher nominiert: „The Perfect Match“ von KimchiBrot Connection, „Der Zwang“ von Krux-Kollektiv und „Hätten Sie von sich aus die Familie erfunden?“ von Artmann&Duvoisin. Alle sind sie um die Mitte 20 und machen kein traditionelles Theater. Am wurden die Stücke im Orangerie-Theater noch einmal aufgeführt, wo neben den vier Jurymitgliedern das Publikum, soweit es alle Stücke gesehen hatte, als fünfte Stimme seinen Favoriten wählen konnte. Zu unterstreichen ist, dass sich für dieses bürgerschaftliche Förderprojekt keine Theater mit ihren Eigenproduktionen bewerben können.
Mit dem 50-Minüter „The Perfect Match“, uraufgeführt am Februar an der Studiobühne, ging es am Donnerstag erst einmal in die Zukunft. Wir sehen den Tagesablauf der jungen Frau HuWoman, die aus Überlastung schließlich eine Art Roboter, Caren, anschafft – ein gefühlsblinder Siri/Alexa-Typ mit kommandobereitem Mannskörper. Für Entscheidungen allerdings ist der flinke Lebenshelfer, der ab und zu aus dem Standby geholt werden muss oder sich aufhängt, nicht zuständig. Wissen, was sie will, und entscheiden, wen sie datet, muss HuWoman nach wie vor selber. Der perfekte Partner des Titels bleibt in jeder Hinsicht eine Illusion, auch als ein Caren-Upgrade die Partnersuche mit genauesten Informationen über beide Kandidaten unterstützt, die von wenig Fortschritt in Sachen Datenschutz zeugen. Manches hätte man dann doch nicht wissen wollen. So weit ungefähr die Story, die an diesem im Alltag verankerten Beispiel Mensch und KI einander gegenüberstellt und mögliche Szenarien des (heute schon erkennbaren) Zusammenlebens andenkt, die mit starker technisch-wissenschaftlicher, soziologischer und psychologischer Einsicht von unseren derzeitigen ersten Begegnungen mit KI ausgehen. Dabei bleibt das Stück nach kurzer Einleitung durchweg leicht und unterhaltsam.
Die Performer Alejandra Jenni und Constantin Hochkeppel sind im Orangerie-Theater großartig in Form. Sie bewegen sich in weitgehender Eigenregie meist in Uhrzeiger-Manier um einen offenen, in seinen Möglichkeiten großartig ausgereizten LED-Lichtkubus herum und durch ihn durch. Die Möglichkeiten von Physical Theatre werden beeindruckend zum Vorschein gebracht. Es ist keine Absage ans Wort oder ans klassische Schauspiel, sondern bezieht es gekonnt ein und geht darüber hinaus. Die Bewegungen sind kleinteilig und durchaus humorvoll durchchoreografiert und die Körperbeherrschung wie etwa beim Roboterhaften und Parodistischen ist allein den Eintritt wert. Auch die sprachliche Ebene mit einem halb englischen, etwas heruntergekommenen Deutsch aus der Zukunft funktioniert und ist immer spezifisch. Da KimchiBrot zudem schon mit „Living Happily Ever After“ (WA 22.-24.11., Studiobühne) 2017 den Kunstsalon-Theaterpreis gewonnen hatten, war es nach der Vorführung sehr schwer sich vorzustellen, dass die Produktion, diese Art des Theaters in dieser Form am Ende nicht ausgezeichnet würde. Dank des tollen Auftakts herrschte beste Laune in den zwei Stunden Umbaupause für das nächste Stück; im Garten gab es Musik von Lightning Jules und Stereo Naked sowie ausgezeichneten und sättigenden Gemüsecurry der Bochumer „Wohnküche“ im Angebot.
„Voll gespeichert“ habe Constantin Hochkeppel seine Rolle als Virtual Assistant, wie er uns im Garten erklärt. „Wenn wir ein Stück einige Monate nicht gespielt haben, muss ich mich erst einmal resetten und meine anderen Rollen abschütteln, aber beim Proben merkt man, dass sich der Körper doch schnell wieder an alle Bewegungen erinnert.“ Er war besonders zufrieden mit der Performance des Abends – ein Stück könne über die Zeit „total wachsen. Gerade weil man sich noch an alles erinnert, hat man bei Wiederaufnahmen mehr Kapazität neue Dinge zu finden“, so Hochkeppel, der wie seine drei Mitstreiter im Team an der Folkwang Universität der Künste Physical Theatre studiert hat. Das gilt ebenfalls für seine ehemalige Kommilitonin Alejandra Jenni, eine Spanierin, die der Gruppe nahe steht und als Gast quasi die Hauptrolle übernahm.
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