Tanzproduktionen verwandeln sich immer häufiger in Kunstaktionen, denn die Performance mit ihrer Unberechenbarkeit kommt der Spontanität des menschlichen Körpers noch mehr entgegen als der klassische Tanz. Die Kunst der Bewegung kann auf diese Weise noch intensiver gemeinsam erlebt werden. Auch wer einmal einer Produktion der beiden französischen Choreographen Mathilde Monnier und Dominique Figarella beigewohnt hat, kann sich hinterher des Eindrucks nicht erwehren, an einem besonders intensiven Moment teilgenommen zu haben.
In ihrer neuen Produktion werfen die Französin und der Franzose die Frage auf, ob man Inspiration materialisieren kann. Ein schwieriges Unterfangen, verflüchtigt sie sich doch in jenem Moment, in dem wir sie zu fassen glauben. Aber Monnier und Figarella finden eine beeindruckende Metapher für die Substanz künstlerischen Schaffens, indem sie eine gigantische Schaumwolke auf die Bühne der Halle Kalk bringen. Der Name ihrer in Frankreich gefeierten Produktion, die sie im Rahmen der Tanzgastspiele in Köln zeigten, passt also bestens: „Soapéra“.
Der Schaum blubbert dahin, sein Volumen nimmt stetig zu, eine amorphe Masse, die für Momente an Eisschollen erinnert. Drei Männer und eine Frau sind in ihr verborgen. Sie öffnen das Schaumgebilde, verändern seine Form und beschreiben dabei einen kreativen Prozess, der zunächst vage, dann immer konkreter angelegt ist. Während man noch glaubt, einer Gruppe von Arktisforschern bei der Arbeit zuzuschauen, setzt der Tanz ein. Die vier beginnen zu debattieren, die Formprozesse nehmen ihren Lauf. Wenn die große Tischplatte des Quartetts zu Boden fällt, stieben die Schaumflocken Schneekristallen gleich durch den Raum.
Die poetische Note dieser Inszenierung brachte der Elsässerin Monnier und dem Savoyer Figarella viel Bewunderung ein. Das visuelle Spiel mit dem fragilen Material, das erdrückend und graziös zugleich wirken kann, ist bezwingend. Die beiden Theatermacher projizieren das Weiß der Leinwand in das makellose Gebilde, das wie künstlerisches Urmagma am Beginn aller künstlerischen Arbeit steht.
Vielgestaltig ist die Produktion von „Soapéra“ angelegt. Der Name erinnert natürlich an „Soap opera“ („Seifenoper“), die am Fließband produzierten Fernsehserien ohne viel Substanz. Ist das alles also eine bloße Schaumschlägerei, die von den vier Tänzern begeistert demonstriert wird, eine Welt des Blabla, in der nichts zu greifen ist und sich Geschichten als Chimären entpuppen?
Die Ironie gehört zu dieser Produktion, in der das Ensemble nur verhalten Gelegenheit bekommt, sein tänzerisches Können zu zeigen. Vieles erinnert an Choreographien zu John Cage-Kompositionen. So gut die Tanzpassagen technisch ausgeführt sind, so wenig überraschend sind sie choreographisch gestaltet: Keine Kombination, die nicht schon irgendwo einmal zu sehen gewesen wäre. So bleibt in einer intelligenten Produktion, die virtuos mit Metaphern zu spielen versteht, der Tanz ein nachgeordnetes Ausdrucksmittel, von dem man gerne mehr gesehen hätte.
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