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Calaf wirbt um die Hand der verstockten Turandot
Foto: Bernd Uhlig

Ganz großes Pekino

04. April 2017

„Turandot“-Premiere mit Spitzenstimmen im Staatenhaus – Oper 04/17

„Auf die Rolle habe ich mich von langer Hand vorbereitet. Einerseits habe ich 18 Jahre lang an meiner Stimme gearbeitet, andererseits muss man emotional reif sein, um die Partie singen zu können. Sie ist sehr anstrengend und herausfordernd. Man darf sich dabei nicht verausgaben“, erklärt uns der deutsch-brasilianische Spinto-Tenor Martin Muehle, der in der Neuinszenierung der ‚Turandot‘ als Calaf am 2. April sein Debüt an der Kölner Oper gab. „Es ist sehr schwierig, ‚Nessun dorma‘ zu singen, weil alle die Arie kennen, sie ein richtiger Ohrwurm ist. Sie ist nicht schwieriger als andere, aber die Erwartungen sind so hoch.“ Seine Sorge war unbegründet: Die Kölner bejubelten sein ‚Vincerò‘ – Muehle hatte gesiegt.

Der Herausforderung der Neuinterpretation einer der bekanntesten Opern der Welt stellte sich auch die amerikanische Regisseurin Lydia Steier, deren Stockhausen-Inszenierung vergangenes Jahr gefeiert wurde. Sie machte aus dem Märchen um die chinesische Prinzessin, die alle Bewerber tötet, und dem mutigen Prinzen, der ihre Rätsel löst und die Bindungsunwillige schließlich mit einem Kuss gewinnt, die ganz große Hollywood-Show im Stil der 1920er Jahre. Also jener Zeit, in der Giacomo Puccini an der Oper arbeitete, mit einem Libretto von Giuseppe Adami nach einem Stück von Carlo Gozzi. Die Uraufführung fand 1926 an der Mailänder Scala statt mit Arturo Toscanini am Dirigentenpult, während Puccini bereits 1924 gestorben war, nach Vollendung jener berührenden Szene, in der die treue, sich aufopfernde Sklavin Liù durch die grausame Turandot stirbt. Die authentische Darstellung der Folterszenen mag anfangs peinlich berühren, wird jedoch durch die Einspielung alter Filmausschnitte mit Körperzüchtigungen im alten China bewahrheitet.


Turandot ergibt sich endlich der Liebe Calafs, Foto: Bernd Uhlig

„PEKINO“ überstrahlt als große Leuchttafel die Szenerie: Kofferwort aus ‚Peking‘ und ‚Kino‘, dessen ‚NO‘ Calaf im 1. Akt von seiner Werbung abhalten soll. Sowohl die europäischen Beobachter, die englische Dominanz in China im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert symbolisierend, als auch die Minister Ping, Pang, Pong sind very british gekleidet im Stil der Golden Twenties. Der Pavillon, in dem die drei den Grund für Turandots Männerfeindlichkeit preisgeben, mutiert zur Filmmaske. Augenfälligster Höhepunkt ist das pompöse, rotplüschige Kleid der Prinzessin, das an Kinosessel gemahnt. Die Männermordende, verkörpert von der gefeierten Sopranistin Catherine Foster, erscheint im 1. Akt als Filmprojektion, im 2. Akt dann in Natura. Ist es Zufall, dass Topffrisur und Raute-Haltung an eine deutsche Politikerin erinnern, die auch schon den ein oder anderen Mann beruflich beiseite geräumt hat? Im 3. Akt ist sie als Marlene Dietrich gestylt, deren Männerverschleiß im Liebesleben legendär war. Der Gipfel des Geschlechterkampfes zwischen Turandot und Calaf, der Kuss und das Hinschmelzen der Eiskalten, hat nicht nur Puccini Kopfzerbrechen bereitet. Er ist bis heute schwer zu inszenieren.


Birgit Meyer gratuliert Catherine Foster bei der Premierenfeier, Foto: Katja Sindemann

Doch Lydia Steier ist es gelungen, wie Intendantin Dr. Birgit Meyer bei der Premierenfeier betont. „Es ist beeindruckend, wie Catherine Foster sich seelisch entblößt, sich dem unbekannten Mann anvertraut“, lobt sie die Darstellung des emotionalen Wendepunkts. Martin Muehle erzählt: „Ich kannte Catherine Foster vorher nicht und bin von ihr begeistert. Sie ist eine sehr großzügige Künstlerin, das macht alles leichter. Manche Sänger denken nur an sich, Oper ist jedoch Teamwork.“ Zur Kuss-Szene befragt, sagt er: „Für Turandot ist es eine große Veränderung. Die Musik ist der Träger dieser starken Gefühle. Es ist nicht so schwer, wenn man in die Musik reinspringt, sich in ihr gehen lässt.“

Zu den Stimmen gibt es nicht viel zu sagen: Sie sind hervorragend. Zu erwähnen ist unbedingt die gefühlvolle Darbietung der Liù durch die junge chinesische Sopranistin Guanqun Yu. Der finnische Bassist Mika Kares überzeugt als Tartarenfürst Timur. Wolfgang Stefan Schwaiger, John Heuzenroeder und Ralf Rachbauer singen und spielen sich als Ping, Pang, Pong in die Herzen der Zuseher. Die Kinder des Kölner Domchors entzücken in chinesischen Gewändern und Drachenbarke. Last but not least liefert Dirigent Claude Schnitzler die hervorragende musikalische Untermalung. Insgesamt ganz großes Kino!

„Turandot“ | R: Lydia Steier | 6., 8., 15., 21., 27., 29.4. 19.30 Uhr, 17.4. 18 Uhr, 23.4. 16 Uhr | Oper Köln im Staatenhaus | 0221 22 12 84 00

Katja Sindemann

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