
Misericordia
Frankreich 2024, Laufzeit: 103 Min., FSK 16
Regie: Alain Guiraudie
Darsteller: Félix Kysyl, Catherine Frot, Jean-Baptiste Durand
Mysteriös angehauchtes Charakterdrama
Dunkle Geheimnisse
„Misericordia” von Alain Guiraudie
Der französische Filmemacher Alain Guiraudie wurde 2013 international mit seinem Film „Der Fremde am See“ bekannt. Der zweifach in Cannes prämierte Film, der seinem Hauptdarsteller Pierre Deladonchamps auch einen César als bester Nachwuchsdarsteller einbrachte, war ausschließlich an einem schwulen Cruising-See verortet, an dem ein Mörder sein Unwesen treibt. Neben den überaus realistischen und sehr naturalistisch eingefangenen Szenen vom Outdoorsex unter Männern setzte Guiraudie hier ebenfalls bereits auf mysteriöse Geheimnisse und den Thrill eines Kriminalfalls. Beides findet sich nun auch in seinem siebten Langfilm „Misericordia“ wieder, dessen Titel man wörtlich mit „Barmherzigkeit“ übersetzen könnte. Auch dieser Film ist in einer ländlichen Region Frankreichs angesiedelt und hat ein eher überschaubares Figurenensemble, hinter dem sich auch wieder dunkle Geheimnisse verbergen, die sich um homosexuelles Begehren und Mord drehen.
Zu Beginn sehen wir, wie Jérémie (Félix Kysyl) nach zehn Jahren der Abwesenheit in das ländliche Saint-Martial zurückkehrt, um der Beerdigung seines ehemaligen Chefs, des lokalen Bäckers, beizuwohnen. Dessen Witwe Martine (Catherine Frot) empfängt ihn liebevoll und lässt ihn sogar im alten Kinderzimmer ihres Sohnes Vincent (Jean-Baptiste Durand) übernachten, einem alten Schulfreund Jérémies. Vincent ist davon nicht sonderlich begeistert, zumal Jérémie seinen Aufenthalt bei Martine immer weiter verlängert. Er vermutet, dass mehr dahintersteckt, als Jérémie preisgibt. Auch Nachbar Walter (David Ayala) und der Gemeindepriester Philippe (Jacques Develay) begegnet Jérémie immer wieder in den unterschiedlichsten Momenten. Die Ereignisse spitzen sich eines Abends zu, als es im Wald zu einem tödlichen Kampf kommt.
Im ersten Drittel bleibt Alain Guiraudies Film überaus vage und geheimnisvoll, weswegen sich schleichend ein ungutes Gefühl beim Publikum breitmacht, weil man nur häppchenweise erfährt, wie die verschiedenen Personen zueinanderstehen. Dass auch homosexuelles Begehren eine Rolle spielt, wird rasch klar und steigert die Spannungskurve noch zusätzlich. Nach dem Mord wird der Film zwar zunehmend konkreter und immer weniger bleibt im Unklaren, gleichzeitig lässt aber auch die Faszination an der Geschichte nach. Das liegt in erster Linie an einigen eher unglaubwürdigen Verhaltensweisen der Figuren, die z.T. auch den Charakterisierungen zu Beginn des Films widersprechen. Auch in „Der Fremde am See“ gab es am Ende eine solche Entwicklung ins Unwahrscheinliche, die hier aber schon viel früher einsetzt und nicht jedermann schmecken dürfte. Gleichwohl glänzt auch dieser Film wieder mit herausragenden Darstellerleistungen, ganze acht César-Nominierungen konnte „Misericordia“ für sich verbuchen, vier davon für das Schauspielerensemble. Stellenweise fühlt man sich auch hier wieder an die Arbeiten von François Ozon („Gelobt sei Gott“) erinnert, der oft ähnliche Themenfelder bearbeitet.
(Frank Brenner)
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