
Liuben
Spanien, Bulgarien 2023, Laufzeit: 109 Min., FSK 12
Regie: Venci D. Kostov
Darsteller: David de Gea, Bojidar Iankov Asenov, Stefan Denolyubov
Poetisch-raues Jugenddrama
Heimkehr
„Liuben” von Venci D. Kostov
Sinti und Roma hatten über mehrere Jahrhunderte hinweg kein einfaches Leben. Das Nomadenvolk wurde von den meisten sesshaften Menschen stets kritisch beäugt. In Literatur, Film und Musik mussten die „Zigeuner“, wie sie im 20. Jahrhundert noch genannt wurden, für romantisch verklärte Sehnsuchtsbilder (die Johann-Strauß-Operette „Der Zigeunerbaron“ oder der Alexandra-Schlager „Zigeunerjunge“) herhalten, oder sie wurden als Nichtsnutze, Schmarotzer oder Diebe verunglimpft. Die Titelfigur „Liuben“ in Venci D. Kostovs zweitem Langfilm ist ein „Zigeuner“ und wird von den Figuren des Films auch stets abfällig so genannt – im Alltagssprachgebrauch der Menschen in Ost und West ist die Bezeichnung nach wie vor aktuell. Ungewöhnlich an Kostovs Film ist gleich mehreres, denn nicht nur eine möglichst authentische Schilderung des Lebens von Sinti und Roma ist nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung. Wenn dann auch noch queere Aspekte in die Handlung einfließen, wird es gleich nochmal so erstaunlich. Hinzu kommt, dass „Liuben“ der erste offizielle LGBTIQ-Film aus Bulgarien ist, wenngleich er mit großer finanzieller Beteiligung Spaniens als Koproduktion entstand.
Victor (Dimitar Nikolov) ist nach zwölf Jahren anlässlich der Beerdigung seines Großvaters in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Das Verhältnis zu seinem Vater Kaloyán (Dimitar Banenkin), den er ebenfalls schon lange nicht mehr gesehen hat, ist unterkühlt. Im überschaubaren Ort macht der offen schwule Victor bald die Bekanntschaft mit Liuben (Bozhidar Asenov), der sich mit dem Verkauf von Melonen und kleinen Gaunereien durchschlägt. Liuben ist überrascht von der Freundlichkeit, mit der Victor ihm begegnet, und bald verbringen die beiden jungen Männer eine Menge Zeit miteinander. Obwohl Liuben mit seiner Freundin ein Kind erwartet, ist er auch körperlicher Nähe zu Victor nicht abgeneigt. Doch als im Dorf die Garage des Automechanikers abbrennt, wird der Schuldige schnell unter den Außenseitern der Gemeinde gefunden, den Sinti und Roma. Natürlich bedient auch Venci D. Kostov in seinem Film das eine oder andere Klischee, aber insgesamt kommt „Liuben“ erstaunlich frisch und vorurteilsfrei daher, weswegen dieser für sein Entstehungsland ohnehin unglaublich innovative Film auch im aufgeklärteren und toleranteren Westeuropa auf Interesse stoßen dürfte. Die beiden hierzulande natürlich noch völlig unbekannten Hauptdarsteller haben nicht nur etwas Unverbrauchtes, sondern auch etwas Unschuldiges, was ihren Rollen und der sich zaghaft entspinnenden Sommerromanze überaus gut zu Gesicht steht. Vieles läuft hier zunächst nur über Blicke und flüchtige Berührungen, aber schließlich kommt es dann doch zum Austausch von Intimitäten, die auch sinnlich-erotisch bebildert werden, was für einen bulgarischen Film auch heute noch ein Novum darstellt. Auch die Schilderung des Alltags in einem der ärmsten Länder der Europäischen Union ist Kostov anschaulich gelungen und macht den Film sehenswert.
(Frank Brenner)
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