
Life in a Day
GB 2011, Laufzeit: 95 Min.
Regie: Kevin Macdonald
>> www.youtube.com/user/lifeinaday
Beispiellose Doku
Alltags-Schnipsel
„Life in a Day – Ein Tag auf unserer Erde“ von Kevin Macdonald
Auf YouTube landen bekanntlich nicht nur Justin Bibers oder verkannte Randexistenzen, sondern vornehmlich irrelevanter Alltagsschrott. Fernab millionenfach geklickter Promi- und Skandälchen-Clips liegen Millionen von Uploads brach. Statements, Momentaufnahmen des Alltags, die unsortiert und weitestgehend unerhört in den unendlichen Tiefen des World Wide Web ertrinken. Das Suchen nach Spots von Interesse ist in der unüberschaubaren Masse mühsam. So mühsam, dass man zumeist gar nicht erst zu einer solchen Reise aufbricht. Dabei ist YouTube voll von Impulsen, Kreativität und Inspiration. Schade, eigentlich.
Das mögen sich auch YouTube, Ridley Scotts Produktionsfirma Scott Free Films und Regisseur Kevin Macdonald gedacht haben, als sie im letzten Jahr weltweit die Menschen dieser Erde dazu aufriefen, am 24. Juli 2010 besondere, persönliche Momente auf Video zu bannen und sie einem filmischen Experiment zur Verfügung zu stellen. Zur Orientierung wurden einfache Fragen formuliert: Was trägst du gerade in deiner Tasche? Woran glaubst du? Wovor hast du Angst? Aus 80.000 Beiträgen wählten Macdonald & Co. Videos aus, die sie aneinander montierten und so die Schar der Clips auf 90 Minuten verdichteten. So entstand ein Mosaik, das sich, angefangen vom Morgengrauen bis hinein in die Nacht, über die Zeitzonen hinweg Menschen zeigt beim Aufstehen, bei der Arbeit, im Liebeskummer, auf dem Fahrrad. Dabei entstehen thematische Blöcke, von denen die Beantwortung der gestellten Fragen nur ein Puzzlestück bildet. Gelungen musikalisch gerahmt wird das Clip-Potpourri von zwei Musikern: Harry Gregson-Williams, ein klassischer Filmkomponist („Shrek“), und Matthew Herbert, filmaffiner Elektronikmusiker.
Insgesamt ist das Ergebnis erwartungsgemäß tragikomisch, weil es davon erzählt, was ein Tag im Leben auf dieser Erde so alles bieten kann: Liebe, Glück, Kummer, Krankheit. Und Tod – die Tragödie der Love Parade ereignete sich just an jenem Sonntag. Auffallend ist, dass zwei Menschengruppen außen vor bleiben, die ansonsten die westlichen Medien so besorgniserregend dominieren: Die Welt der Schönen und Reichen ist hier ebenso wenig vertreten wie die ganz Armen. Kein verklärter falscher Schein, kein medienwirksam inszeniertes Geplärre aus dem Sumpf zivilisierter Armut. Unklar bleibt, ob das den Einsendungen oder der Auswahl geschuldet ist. Auf jeden Fall ist es gut so: Die Menschen, die man hier trifft, wirken geerdet und authentisch und bestechen weder durch Yachten noch durch Provokation und künstliche Aufreger.
Wer sich darauf nicht einlassen mag, darf das belanglos nennen. Wer aber darin eintaucht, darf sich über kurzweilige, auch mal frech auf Rhythmus geschnittene alltägliche bis exotische Eindrücke freuen, über das neuartige Format philosophieren oder sich wünschen, dass es jeden Tag einen „Life in a day“ gibt. Ersatzweise wäre eine Suchfunktion toll, die einem einen solchen 90-Minüter zusammenstellt. Vielleicht bastelt ja bereits jemand daran.
(Hartmut Ernst)

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