Jesus Christus Erlöser
Deutschland 2008, Laufzeit: 84 Min., FSK 12
Regie: Peter Geyer
1971 startet Klaus Kinski eine Solo-Tour mit einem Text über das Neue Testament. Die Auftaktveranstaltung in der Berliner Deutschlandhalle wird ein Desaster.
Das Publikum pöbelt, Kinski pöbelt zurück. Schließlich bricht er die Veranstaltung ab. Klaus Kinski wollte vor rund 5000 Zuschauern seine Bearbeitung des Neuen Testaments vortragen. Die Konfrontation der Figur Jesus mit der Gegenwart, mit Kapitalismus und Vietnamkrieg, ist zu einer Zeit, als das Musical Jesus Christ Superstar auch in Deutschland gerade populär wird, nicht so ungewöhnlich. Und die Formulierung eines radikalen Jesus, der auch zur Gewaltanwendung bereit ist, entspricht in den Jahren nach 68, als sich Teile der linken Bewegung längst radikalisiert hatten, ebenfalls dem Zeitgeist. Warum also dieses Desaster? Spannend an der Veranstaltung ist vieles: Kinskis Ansatz im Kontext seiner Biografie, die Erwartungen des Publikums in jener Zeit, aber vor allem mit einem bestimmten Bild von Kinski vor Augen. Und wie beides aggressiv aufeinander prallt.
Peter Geyer hat aus dem kompletten zur Verfügung stehenden Bild- und Tonmaterial den Abend bis zum Abbruch der Vorstellung rekonstruiert. Der Film zeigt einen Kinski, der nach Jahren als Filmstar in meist mittelmäßigen Produktionen mit einer zehn Jahre alten Idee zu seinen Anfängen als Bühnendarsteller zurückkehrt. Dass die alte Idee nun genau in die Zeit passt, ist vielleicht Zufall: Friedvolle Hippies, moderne Christen und Revolutionäre fühlen sich von der Veranstaltung ebenso angezogen wie Neugierige, die nur das Enfant Terrible live erleben wollen. Und alle sind in heftiger Diskutierlaune, wie es in jenen Jahren üblich war. Das und eine sehr naive Kunstauffassung führen bereits nach fünf Minuten zu ersten Zwischenrufen: Der eine stellt einfältig fest, dass Kinski ja gar nicht Jesus sei, ein anderer wirft ihm vor, mit seiner Schauspielerei viel Geld verdient zu haben, dritten gefällt seine aggressive Jesus-Interpretation nicht. Und alle fühlen sich aufgefordert, ihren Unwillen zu äußern. Kinski will trotzdem seine Darbietung abhalten und reagiert zunehmend unwirsch auf die Zwischenrufer, wird aggressiv und beleidigend, fordert einen Zwischenrufer, auf die Bühne zu kommen. Später stellt sich ein zweiter neben das Mikrofon und will angehört werden – wörtlich: „Ich will was sagen“. Kinski schubst ihn weg. Nun tönen „Faschist“ Rufe aus dem Publikum. Nach mehrmaligen Unterbrechungen verlässt Kinski wütend die Bühne. Als später nur noch wenige Zuschauer im Saal sind, gibt er schließlich doch noch seine Vorstellung, umringt von andächtig vor ihm sitzenden Hörern.
Aus heutiger Sicht bleibt eine faszinierende Aggression. Inhaltlich kann man keiner Partei folgen: Kinskis Text ist interessant, aber beileibe nicht genial, wie Fans behaupten, eher leicht naiv. Noch naiver sind diejenigen, die Kinskis Vortrag nicht als Kunst begreifen, ebenso jene, die ihm am Ende an den Lippen hängen. Und schließlich sind diejenigen, die Kinski mit den damals gängigen Vorwürfen attackieren, an selbstgerechter Dreistigkeit kaum zu überbieten. Ein verwirrendes und spannendes Zeitdokument.
(Christian Meyer)
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
Show halt
Die Sache mit dem Oscar – Vorspann 04/24
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Schöne Aussichten im Kino
Der Festivalauftakt in Berlin verspricht ein gutes Filmjahr – Vorspann 03/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Zwischen uns das Leben
Start: 1.5.2024
Der Junge, dem die Welt gehört
Start: 2.5.2024
Bad Director
Start: 9.5.2024
Robot Dreams
Start: 9.5.2024
Das Zimmer der Wunder
Start: 16.5.2024
Nightwatch: Demons Are Forever
Start: 16.5.2024
Furiosa: A Mad Max Saga
Start: 23.5.2024
Mit einem Tiger schlafen
Start: 23.5.2024
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
Golda – Israels Eiserne Lady
Start: 30.5.2024
May December
Start: 30.5.2024
Was uns hält
Start: 20.6.2024
Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24
Führer und Verführer
Start: 11.7.2024