
Innen Leben
Belgien 2017, Laufzeit: 86 Min., FSK 12
Regie: Philippe Van Leeuw
Darsteller: Hiam Abbass, Diamand Bou Abboud, Juliette Navis
>> www.innenleben-film.de
Beklemmendes Kammerspiel aus dem syrischen Bürgerkrieg
Krieg in den Städten
„Innen Leben“ von Philippe Van Leeuw
Oum Yazan (Hiam Abbass) hat Haus und Familie fest im Griff. Das resolute Familienoberhaupt dirigiert und kommandiert die Mitbewohner mit strengem Ton. Dass ihr das gelingt, ist umso unglaublicher, da außerhalb der Wohnung das reinste Chaos herrscht. In der gutbürgerlichen Wohnung in Damaskus lebt sie eigentlich mit ihrem Mann und den drei Kindern Yara, Aliya und Yazan sowie ihrem Schwiegervater. Doch vor der Tür tobt der Bürgerkrieg. Und so haben auch die Haushälterin Delhani (Juliette Navis) und Yaras Freund Karim hier Unterschlupf gesucht. Außerdem ist eine benachbarte Kleinfamilie, deren Wohnung ausgebombt ist, hierhin geflüchtet: Samir, Halima (Diamand Bou Abboud) und dem gemeinsamen Baby hat Oum Yazan ein Kinderzimmer überlassen. Es soll nur für kurze Zeit sein, denn Samir plant für sich und seine Familie die Flucht außer Landes. Als er am Morgen aus der Wohnung schleicht, um letzte Vorbereitungen zu treffen, beobachtet die Haushältern Delhani wie er von einem Scharfschützen erschossen wird.
Die Einstürzenden Neubauten haben für eines ihrer frühen Stücke passend zum Bandnamen den Titel „Krieg in den Städten“ gewählt. Es ist ein starkes Bild. Denn wenn wir an Krieg denken, haben wir oft Bilder von weiten Landschaften im Kopf – karge Wüsten, vom Stellungskrieg zerfurchte Äcker, pirschende Soldaten in Wäldern. Und wenn wir an Städte denken, dann sehen wir Ruinen: Bilder aus Köln um 1945 oder auch aktuelle Fotos aus Aleppo zeigen Städte, die eher die Anmutung von zerklüfteten Gebirgslandschaften haben, aus denen jegliche zivilisatorischen Errungenschaften längst in weite Ferne gebombt wurden. „Innen Leben“ hat eine ganz andere Perspektive. Wir sehen schöne alte Holzmöbel, elegantes Geschirr, ein Badezimmer mit Zahnputzbechern und Handtüchern, mit Stickern beklebte Kinderbetten, einen Balkon. Der Balkon ist neben den Schussgeräuschen der einzige Bezugspunkt zur Außenwelt einer Wohnung, in der die Bewohner über 24 Stunden mehr schlecht als recht versuchen, den Alltag aufrecht zu erhalten.
Gedreht hat Regisseur Van Leeuw im Libanon. Das passt nicht nur visuell, sondern auch vom historischen Hintergrund. Denn dort und vor allem in der Hauptstadt Beirut kennt man das Leben im Bürgerkrieg allzu gut. Die libanesische Comic-Künstlerin Zeina Abirached erzählt in ihren Kindheitserinnerungen ebenso wie „Innen Leben“ von einem Alltag in der eigenen Wohnung, die von allen Seiten von Krieg umgeben ist. Bei ihren Erinnerungen an die Kindheit im Krieg schleicht sich immer wieder Humor und Hoffnung in die Geschichten. Der Libanesische Krieg dauerte ganze 15 Jahre, ist nun aber auch schon seit 27 Jahren Geschichte. Syrien war aktiv an dieser Auseinandersetzung beteiligt. Seit 2011 tobt nun in Syrien ein Bürgerkrieg, der schon jetzt ein Vielfaches an Todesopfern und Flüchtlingen gefordert hat. Die Situation des zum Stellvertreterkrieg angewachsenen Konfliktes mit unzähligen direkten und indirekten Parteien ist kaum noch überschaubar. Es ist daher eine kluge Entscheidung des Regisseurs, sich aus den politischen Zusammenhängen herauszuhalten und auf eine private – besser: allgemein menschliche – Ebene zu gehen. Es geht weder um Schuld und Unschuld noch um Lösungsvorschläge, sondern alleine um das menschliche Verhalten in Krisen- und Kriegszeiten.
Das Kammerspiel ist eine der größten inszenatorischen Herausforderungen im Kino. Jede noch so kleine Schwäche sticht deutlich heraus. In Leeuws Film, der neben der großen libanesischen Darstellerin Hiam Abbas zum großen Teil mit syrischen Flüchtlingen besetzt ist, ist es vielleicht die mitunter zu suggestiv eingesetzte Musik, die einem unpassend erscheint. Aber das sind nebensächliche Details eines wichtigen Films, der das Leid der Zivilbevölkerung in den Vordergrund rückt. „Innen Leben“ zeigt nur wenig konkrete Gewalt und keinen einzigen Toten. Der Film vergegenwärtigt vielmehr, wie der Krieg Menschen zerstört, auch ohne sie zu töten.
Berlinale 2017: Publikumspreis
(Christian Meyer-Pröpstl)

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