
Golden Twenties
Deutschland 2019, Laufzeit: 91 Min., FSK 0
Regie: Sophie Kluge
Darsteller: Henriette Confurius, Inga Busch, Max Krause
>> www.fox.de/golden-twenties
Tragikomisches Gesellschaftsportrait
Goldene 2010er
„Golden Twenties“ von Sophie Kluge
Mit dem Studium in der Tasche zieht Ava (Henriette Confurius) vorübergehend wieder bei ihrer Mutter in Berlin ein. Die ist eher mit ihren Nachtleben und dem jungen Lover beschäftigt, während sich Ava motiviert um Jobs bewirbt und einen Einstieg ins Leben sucht. Sie landet bei einer Hospitanz am Theater, wo sie auf einen Haufen Egos stößt – und auf den attraktiven Schauspieler Jonas (Max Krause), der ihr schon bald Offerten macht. Doch alles scheint unverbindlich in dieser Zeit.
Sophie Kluge liefert mit „Golden Twenties“ ihre Regiedebüt nach eigenem Drehbuch. Sie will „die individuelle Geschichte einer jungen Frau [erzählen], die nach ihrem Weg sucht“. Dass sie damit ein Generationenportrait vorlegt, weist sie strickt von sich: Ich „würde mir nie anmaßen, eine ganze Generation beschreiben zu wollen“. Tatsächlich gelingt ihr noch viel mehr: Sophie Kluge legt mit „Golden Twenties“ nämlich ein trefflich gelungenes Gesellschaftsportrait vor, wenn auch nur aus Versehen. Eigentlich ist der Titel des Filmes sogar irreführend, geht es hier doch weniger um Twentiesomethings als vielmehr um deutsche Stadtneurotiker in den 2010ern.
Henriette Confurius verleiht ihrer Ava eine hübsch biedere Sissi-Präsenz. Eine 50er-Jahre-Type, brav, naiv, aufrichtig, wacker. Die dementsprechend tatsächlich wie Alice im Wunderland staunend durch die Realität dieses Jahrzehnts stolpert. Die dabei bloß Neidern begegnet, statt Gönnern. Die, von der Mutter über den Lover bis zur besten Freundin Menschen trifft, die davon träumen, sich selbst zu verwirklichen, aber keine wahre Leidenschaft dafür entwickeln noch eine tatsächliche Idee davon haben. Die in Beziehungsblasen verklärt den Traum vom Glück schönträumen, statt ihn mutig zum Leben zu erwecken. Avas Vater sieht seinen Erziehungsauftrag damit abgegolten, seiner längst erwachsenen Tochter wohlmeinende Ratschläge mit auf dem Weg zu geben. Und mit der Mutter diskutiert er im Beisein von Ava, was Ava zu interessieren hat. Papas neue Partnerin grübelt derweil mit ihren 53 Jahren über ein Psychologiestudium nach, so als würde sie gerade den nächsten Urlaub planen. Phrasendreschende Wohlstandsmenschen, von denen jeder nur an sich denkt, aber keiner bei sich selbst ist. Egoisten ohne Ego.
Ava staunt dazu und steht vor versperrten Türen. Nachts vor der Wohnung ihrer Mutter, tags zur Krisensitzung im Theater. Niemand heißt sie Willkommen. Niemand ist hier Willkommen. Einziger, und zugleich wundervoller Lichtblick ist der kauzige Nachbar gegenüber, den Ava beobachtet, wenn er auf dem Balkon Zeilen aus Schubert „Winterreise“ singt oder wenn er ihr davon erzählt, er habe von ihr geträumt. Eine Figur, verkörpert von Blixa Bargeld, höflich und zuvorkommend, Alte Schule, als sei er einem Sissi-Film entsprungen.
Bei allem Sissi-Verweis jedoch gestaltet sich „Golden Twenties“ keinesfalls märchenhaft. Kluge erweist sich als äußerst genaue Beobachterin unserer Lebensrealität und weiß davon pointiert zu erzählen. Mit einem subtilen Händchen für Situationen, Stimmungen und Befindlichkeiten schafft sie Szenerien, die schlichtweg wahrhaftig sind. Auch wenn es im ersten Drittel inszenatorisch mal nuanciert aus dem Ruder läuft, gelingen der Debütregisseurin viele große Momente, die belustigen, berühren und auch erschrecken. Und das ist, bei aller Leichtigkeit, durchaus auch mal beängstigend. Vielleicht auch, weil hier alles um gefühlt zehn Prozent überspitzt gezeichnet ist. Und so könnte „Golden Twenties“ durchaus auch als Horrorfilm durchgehen. Als Dystopie dessen, wo sich unsere Gesellschaft geradewegs hin entwickelt. Als Dystopie mit einem Augenzwinkern, als gruselige Satire.

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