Blue Bayou
USA 2021, Laufzeit: 118 Min., FSK 12
Regie: Justin Chon
Darsteller: Justin Chon, Alicia Vikander, Sydney Kowalske
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Facettenreiches Abschiebedrama
Identität
„Blue Bayou“ von Justin Chon
Mit „Blue Bayou“ widmet sich Regisseur Justin Chon einem konkreten Konflikt in seiner Heimat: der Abschiebepraxis. Justin Chon wurde als Sohn südkoreanischer Einwanderer in den USA geboren. Er ist US-Amerikaner. In der Rolle des Eric Yorkie in der „Twilight“-Reihe wurde er weltweit bekannt. Als Regisseur hatte er sich bereits in seinen Low-Budget-Dramen „Gook“ (2017) und „Ms. Purple“ (2019) mit der Identität koreanischer Einwandererfamilien auseinandergesetzt. „Blue Bayou“ nun ist höher budgetiert. Erneut schaut Chon auf die US-Gesellschaft. Polizeibrutalität ist dabei nur ein Aspekt, von dem Chon erzählt. Zuallererst geht es um kulturelle Identität, um Einwanderung und Abschiebung. Darum, dass viele adoptierte Einwanderer in den USA nach Jahrzehnten noch immer nicht ihre Staatsbürgerschaft erhalten haben.
Chon übernimmt selbst die männliche Hauptrolle: Antonio, der als Dreijähriger von einer amerikanischen Familie adoptiert wurde. Heute ist er glücklich mit Kathy (Alicia Vikander) verheiratet. Sie erwartet ein Kind von ihm, zu seiner Stieftochter Jessie hat er, im Spaß wie im Ernst, einen guten Draht. Überschattet wird die Beziehung von der finanziellen Situation der Familie und von Kathys Ex-Freund Ace (Mark O’Brien), dem Vater von Jessie, der sich mit Kathy um das Sorgerecht streitet. Ace ist Polizist, bei einer Begegnung im Supermarkt eskaliert die Situation: Nach einer Provokation durch Aces rassistischenKollegen, wird Antonio festgenommen. Fortan sitzt er unschuldig in Gewahrsam. Ohne belastbare Beweise gegen ihn, aber mit einer kleinkriminellen Vergangenheit im Rücken – und mit ungünstigem Adoptions-Background. Erst jetzt wird Antonio, der sein Leben lang in den USA gelebt hat, sein Status gewahr: Erst seit dem Jahr 2000 gewährt ein Gesetz adoptierten Immigranten die Staatsbürgerschaft. Rückwirkend gilt das Gesetz nicht – und dieses Schlupfloch wird bis heute großzügig ausgenutzt. Antonio, seit 33 in den USA, steht also unversehens vor der Abschiebung. Trotz der kritischen finanziellen Lage engagiert Kathy einen Anwalt. Der allerdings macht dem Paar nur wenig Hoffnung und rät Antonio, das Land freiwillig zu verlassen. Denn sollte er klagen und verlieren, darf er nie wieder zurückkehren.
Chon wurde zu seinem Drama von Nachrichtenartikeln über Adoptivkinder aus Südkorea inspiriert. An 30 Tagen auf 16-Milimeter gedreht, sucht der Regisseur ein Höchstmaß an Authentizität, an Unmittelbarkeit und Identifikationsmöglichkeit. Vorbild ist ihm nach eigener Aussage John Cassavetes und das Independent Cinema. Auch wenn manche Jazz-Schleife oder Schmutzpartikel am Bildrand inszeniert wirken, gelingt es dem Regisseur insgesamt, die angestrebte Tonalität zu erreichen, mit der sein Film nah dran ist am Wahrhaftigen. Das wird zusätzlich unterstützt durch Chons erzählerische Reife: Antonios innige Liebe zu seiner jungen Familie, seine getrübte Erinnerung an Korea, seine dramatische Zeit in der Pflegefamilie, seine Tagträume, seine Verdrängung, seine Offenheit, sein Schweigen, die Suche nach Wurzeln und Identität, seine Zerrissenheit, das geteilte Schicksal koreanischer und vietnamesischer Immigranten. Dau die Konflikte von außen, durch Ace im Kleinen, durch die Gesetzgebung im Allgemeinen: Chon hat sich viel vorgenommen, und auch wenn er Antonio anfangs auch mal arg idealisiert und sein sonst so geerdeter Film am Ende doch noch einen halben Schritt ins Pathos kippt, ist es beachtlich, wie viel er hier so gut erzählt. Wie er, bei aller Themenvielfalt, Stereotype umgeht. Man darf also gespannt sein, was von Chon noch kommt.
„Blue Bayou“ ist die Geschichte einer amerikanischen Familie. Und eine Anklage an ein System, an eine Einwanderungspolitik, die ursprünglich eherne Werte der Nation verrät. Die Organisation Adoptees for Justice berichtet von mehr als 500.000 Kindern, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs von amerikanischen Familien adoptiert wurden. Viele unter ihnen verfügen nicht über die Staatsbürgerschaft. Justin Chon gibt ihnen eine Stimme, sein Drama attestiert Handlungsbedarf.
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