Zu diesem Thema waren die Kölner Choreografen Ilona Pászthy und Slava Gepner eingeladen, sich mit zwei zentralen Aufgaben des Museums, dem Sammeln und Archivieren, künstlerisch auseinander zu setzen (Regie: Svetlana Fourer). Der choreografische Blick auf das archivalische Ausgangsmaterial und seine tänzerische Umsetzung fällt sehr verschieden aus. Gepners Sichtweise ist die des Erinnerns und Bewahrens, manchmal gar des wehmütigen Rückblicks auf das im Leben Angesammelte. In allem schwingt der persönliche Hintergrund des Choreografen mit, der von Breslau, dem heutigen Wroclaw/Polen über St. Petersburg bis nach Deutschland reicht. Folgerichtig lässt Gepner seine vier Tänzerinnen und Tänzer Alltägliches aus der Vergangenheit hervorkramen: Spielzeug, Kochutensilien, ein Straßenschild. Nacheinander kommen sie mit Koffern voller Erinnerungen auf die Tanzbühne, die keine durchgehende Fläche ist, sondern aus zehn einzelnen Podesten mit Zwischenräumen besteht. Die knappe Fläche schränkt den Bewegungsspielraum ein und wirkt so wie eine Metapher für verpasste Möglichkeiten. Die Zwischenräume erweisen sich als Kontinuitätsbrüche für den Erinnerungsweg von east nach west, werden aber schließlich tanzend überwunden.
Einen ganz anderen Blick auf das museale Sammeln und Archivieren wagt die Choreografin Ilona Pászthy – und überzeugt damit mehr. Fast alle Ebenen des Museumbaus bezieht sie bei ihrer Tanzperformance mit ein: das riesige Foyer mit seiner kathedralen Höhe, die neonkalten Flure in jeder Etage, den gläsernen Aufzug, der verbindet und trennt und ohne Halt am Publikum vorbeizieht, den Seitentrakt für eine Projektionswand, auf der die fernen Aktionen ihrer Tänzer in den Fluren zum Publikum geholt werden. Sie erobert sich diesen sperrigen, nach allen Seiten offenen Space, füllt ihn mit Tanz, Projektion und Aktion – und verbindet so das andernorts Existente mit dem Naheliegenden, Bekannten. In Pászthys Choreografie fügen sich die Orte und Aktionen, die Formen und Bewegungen wie Teilchen eines Ganzen schlüssig zusammen. Anfangs sind ihre vier Tänzerinnen und Tänzer auf einem Flur, zehn Meter über den Köpfen des Publikums verteilt, suchen hebend, schiebend und sortierend im Tanz den Kontakt zum Anderen, um sich am Ende zu einer Einheit zu finden, ganz so wie ein Restaurator die Fragmente eines Objektes zusammen fügt.
Perfekt in Form und Inhalt aufeinander abgestimmt entsteht eine außergewöhnliche Tanz-Installation, die besonders im letzten Teil ihre starke Affinität zum musealen Umfeld entfaltet. Zielstrebig steuert die Inszenierung auf diesen Höhepunkt zu, der zugleich das Ende markiert. Knisternd entrollt eine Tänzerin eine überdimensionale Papierrolle. Von beiden Seiten kriechen weitere Tänzer unter das entfaltete Papier, türmen es mittig zu einer Skulptur, aus der Hände und Haare ragen, bevor zu fernöstlichen Gesängen wie im No-Theater wieder Bewegung in Papier und Akteure kommt. Fein säuberlich werden die langen Papierbahnen mehrfach gefaltet wie zum musealen Bewahren der flüchtigen Kunst Tanz.
Reihe wird fortgesetzt mit „Licht-Trilogie“ von Kristóf Szabó, 28. – 30.06.2012
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