Es gibt so ungefähr niemanden, der nicht für den Klimaschutz wäre. Aber so einfach ist es nicht. Lippenbekenntnisse setzen noch keine Motivation frei. Erst wenn man spürt, wie wichtig und einzigartig Pflanzen sind, setzt man sich auch für ihren Erhalt ein. Nach dem Blau ist das Grün immerhin das älteste Farbkleid, das die Erde trägt. Dass wir Menschen viele Gemeinsamkeiten mit den Pflanzen aufweisen, daran erinnert das Ensemble von tanzfuchs in seiner neuen Produktion mit dem Titel „Grün“ mit einem sympathischen Augenzwinkern. Wir wachsen, brauchen die Sonne und haben Durst. Pflanzen und Menschen müssen beide atmen – und wie hört sich das an, wenn sich Pflanzen berühren? Jörg Ritzenhoff, der stets den Sound von tanzfuchs komponiert, liefert dazu eine faszinierende Tonkulisse, in der er von Kakophonie bis zu rhythmischen Ohrwürmern ein wunderbar breites Spektrum der floralen Klangwelten entwirft.
Für jede ihrer Produktionen entwickelt Barbara Fuchs das Spiel, die Bewegung und die Bühnenbilder so grundlegend neu, als würde sie das Theater noch einmal erfinden. So ist es auch diesmal in den ehrenfeldstudios, wo sie schon mit der Eröffnungssequenz ein eigenes Tempo anschlägt. Langsamer, ruhiger und deshalb auch konzentrierter geht es zu, wenn man sich mit der Welt der Pflanzen beschäftigt. Aus einem Knäuel, das zunächst weder Köpfe noch Füße erkennen lässt, erwachsen drei Gestalten (Arthur Schopa, Miriam Meissner und Odile Foehl). Die Kostüme von Stefanie Bold sind einfach sensationell, man erlebt drei Büsche, die zu einer Tanzformation werden. Bewegung entsteht hier aber im engen Dialog mit dem Sujet, und dazu muss man erst einmal alle Tanzkonventionen hinter sich lassen.
Die Bühne verwandelt das Trio in eine Art Waldstück. Säckeweise ergießt sich Erde über den Tanzboden und die Gesichter sind bald so sehr von den Spuren des Erdreichs gezeichnet, dass sie wild und fremd wirken. Hier findet eine Verwandlung statt, wie sie das Thema eben auch verlangt. Ein Baum wächst. Barbara Fuchs lässt das Spiel nie ins Ideologische oder in handzahme Botschaften abgleiten. Leiser Humor bleibt stets ein Begleiter der Aktionen. So gewinnt „Grün“ einen frischen Charme, der Eltern und Kindern eine originelle Möglichkeit bietet, die Welt der Pflanzen auf eigene Faust zu erkunden.
Grün | 24., 25., 26.9. | Consol Theater, Gelsenkirchen | 28., 29., 30.9. | tanzhaus nrw Düsseldorf | 3., 4., 5.12. | im Rahmen der Reihe Querfeldein, Ehrenfeldstudios, Köln | 0221 44 90 75 14
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