Der eine oder andere Theaterbesucher mag die Nase rümpfen über Boulevardtheater: Ein Schwank, in dem sich bevorzugt eindimensionale Figuren an konstruierten Missverständnissen und Verwechslungen entlang hangeln, gehört nicht zur Hochkultur, mag man meinen. Boulevard ist seichte Kurzweil, ist albern, brav, trivial und irrelevant. Doch Obacht, gibt es doch verschiedenste Auslegungsformen dieser Gattung, nicht zuletzt auf internationaler Ebene. So unterscheidet sich das deutsche Boulevard grundsätzlich vom amerikanischen. Letzteres setzt nämlich nicht nur auf harmlosen Humor, sondern ebenso auf Drama. Das Ergebnis ist – tragikomisch. Von daher ist der Stellenwert des Boulevards in Amerika ein anderer als hierzulande, weiß Regisseur Joe Vicaire, der, als wollte er jene Gratwanderung veranschaulichen, das passende Stück inszenierte: „Der letzte der feurigen Liebhaber“ von dem amerikanischen Dramatiker Neil Simon.
Gerd Buurmann spielt ihn, den Liebhaber. Barney heißt er, und Barney ist seit 23 Jahren glücklich verheiratet. Dennoch oder gerade deshalb sucht er den Seitensprung, die Affäre. Dafür arrangiert der Restaurantbesitzer Dates in der Wohnung seiner Mutter. Von dreien dieser Begegnungen erzählt das Stück. Da ist einmal Elaine (offensiv verführerisch: Sabine Putzler), die Versuchung in Person, die dem noch scheuen Barney grandios zynisch entgegen tritt. Dann steht Bobby (charmant verpeilt: Melanie Rehbein) vor der Tür, ein bekifftes Naivchen, die das Date auf bezaubernde Art zu entzaubern vermag. Doch Barney gibt nicht auf, wird von Mal zu Mal selbstbewusster und tritt schließlich als „Sexy Motherfucker“ der besten Freundin seiner Frau entgegen: Jeanette (abgeklärt depressiv: Sabine Kämper), die den ungestümen Liebhaber auf den Boden der Tatsachen zurückholt. So entpuppt sich der vermeintlich hormongesteuerte Lover am Ende als verzweifelter Mann, der verbissen seinen Sehnsüchten zu folgen sucht. Der ein liebevoller Ehemann sein will und daher versucht, Affäre und Anstand zu vereinbaren. Ein kleiner Junge, ein gebrochener Mann, der einfach nur leben will.
So findet man sich nach allerlei niveauvollem Klamauk, Slapstick und grandiosen Wortwechseln zunehmend imDrama wieder. Die Konstellationen, die Dramaturgie, das Tempo, die Leichtigkeit - das alles findet sich im Boulevard hierzulande ebenso wieder. Zugleich aber ist der Text ungleich zynischer, sind die Figuren ambivalenter, ist das Stück nicht nur zerstreuend, sondern anregend. Vor allem aber ist es souverän inszeniert und performt: Da stehen keine Stadl-Clowns auf der Bühne, die zwei Stunden lang routiniert Dialogwitz zum Besten geben, sondern Schauspieler, die ihren gebrochenen Charakteren Würde und Emotion verleihen, im Übrigen mit einem trefflichen Händchen für Timing und Anschluss. Vier Künstler, die der Leichtigkeit Tiefe schenken. Die beweisen, dass Boulevard auch Drama sein kann – und zugleich verdammt lustig.
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