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Christoph Stubbe erhält einen unerwarteten Anruf

Ein bisschen Spaß muss sein

17. Februar 2017

Fatal Banal Session 2017 im Bürgerzentrum Ehrenfeld – Bühne 02/17

Banal ist im Karneval kein Schimpfwort. Eine Institution des alternativen Karnevals sind seit vielen Jahren die Sitzungen von Fatal Banal im Bürgerzentrum Ehrenfeld, wo wieder eine aus Gründungsmitgliedern, später Hinzugekommenen und Neuzugängen zusammengesetzte Gruppe auf und hinter der Bühne an einem Programm mitwirken, das „Sitzung und mehr – Karneval quer“ verspricht. Regie führt zum zweiten Mal Britt Löwenstrom.

Präsident und Posterboy Christoph Stubbe führt mit frecher, thematischer Moderation durch ein musikalisch umrahmtes Sketch-Programm, an dem er auch selber schauspielerisch teilnimmt. Lustvoll-bissig arbeitet es sich mit politischem Kabarett, Typenkomik, Satire, Märchenbearbeitung und allerlei hintersinniger Albernheit an den letzten 12 Monaten ab, wo nicht an der heutigen Zeit allgemein. Wer medial wiederholt auffällt, muss damit rechnen beim vom Fernsehen beeinflussten Fatal Banal sein Fett weg zu bekommen. Trends und Einstellungen aus dem Politischen oder Privaten, die zum Irrsinn ausufern und moderne Widersinnigkeiten offenbaren, werden zur Pointen-Vorlage. Die Mischung macht’s: Übergänge und offene Grenzen zwischen Moderation, Musik und Theater lassen bei Fatal Banal alles schlüssig unter den Karnevalshut passen, drei Stunden plus Pause ist man unterhalten und fragt sich, warum es auf einmal so spät ist. Die 19 Vorstellungen im Bürgerzentrum Ehrenfeld, wo 240 Jeckinnen und Jecken Platz finden, waren auch in diesem Jahr schnell ausverkauft. Mehr geht nicht, die Beteiligten haben angeblich auch Beruf und Familie!


Wenn ein „Nein“ nicht reicht: Jana Marie Backhaus ist gewappnet

Die erste Nummer zeigt Sabine Putzler und Susanne Hermanns als Joggerinnen im Park spät abends Rast machen. Bei dem auswendig gelernten Satz, den sie sich in unterschiedlichen Sprachen abfragen, handelt es sich um „Nein heißt nein!“. Putzler fragt sich: „Was hat Nein eigentlich vorher geheißen? Also wenn ich zum Beispiel zur Bäckerei gegangen bin, da hab ich zwei Brötchen bestellt. Da fragt die Verkäuferin, ob noch was dazukommt. Dann hab ich nein gesagt. Da haben die mir nicht auch noch ‘ne Doppel-Schwarzwälder Kirschtorte mit reingepackt!“ Hermanns unerträglich besserwisserisch: „Nein ist das neue Nein! Dat ist doch jetzt gesetzlich geregelt, da kannst du die Typen verknacken, wenn die nicht auf dich hören.“ – Putzler, mit einem Hauch Resignation: „Der Karsten hört ja nie auf mich…“

In der derzeitigen Lage kommt bei Fatal Banal das Politische sowieso nicht zu kurz. Sofort wird beklagt, dass die Flüchtlingskrise aus dem (Fußball-)„Mittelfeld“ der Aufmerksamkeit verdrängt worden sei: und zwar vom völlig „untrainierten und untalentierten“ Brexit, überhaupt sei die Mannschaft „sehr rechtslastig“. Das Jahr 2016 wird von Stubbe mit dem Motto „Schlimmer geht’s immer“ verunglimpft. Der Brexit setzt sich in der Kölner Umgebung fort, wo der Karnvalsverein Roggendorf-Thenhoven, befeuert von einem Stimmungsmacher in den eigenen Reihen (Hartmut Ernst), die Unabhängigkeit von Köln per „Roxit“ und „Texit“ beschließt. Zum Thema AfD gibt es bald eine „Buchstabensuppe“ – die drei Buchstaben (Meinolf Schubert, Stubbe, Putzler) gehen sich gegenseitig auf die Nerven, ein heimlichtuender Buchstabenverkäufer (Ernst) taucht auf, bald steht dort NPD, am Ende sind es drei Fragezeichen. Es folgt ein „Petry-AfD-Medley“ der aus Jung und Alt neu zusammengestellten, sechsköpfigen Hausband Spielmann’s Zoch. Sie ist Stimmungsmotor des Abends mit der Sängerin Lisa Spielmann: Songs aus Pop und Rock werden mit neuen Texten einwandfrei gecovert. Es wird mitgesungen und mitgeklatscht. Wenn später die Tische und Bänke weggeräumt sind und die Akteure sich hinter der Bühne gute Nacht sagen, legt die Band erst richtig los.

Trumps Wahlsieg und den Beginn seiner Amtszeit konnte der alternative Karnevalsverein noch nicht zufriedenstellend auswerten – vielleicht zum Glück, denn viele Versuche, ihn zu imitieren, gehen (auch bei Fatal Banal) schief. Das sagen zumindest seine Tweets. Umso wichtiger sind das mit „Melania“ und „Ivanka“ (in weißen Fleecejacken) zum Besten gegebene Trump-Lied „(Ich führe jetzt ein) Geiles Leben“ und Trumps Anruf auf dem Handy von Christoph Stubbe mitten in einer Moderation. „Yes, I’m the president of Fatal Banal. Yes, in Ehrenfeld – Field of Honor.“ Trump will angeblich wissen, wie es ist, Präsident zu sein. – Bei Erdogan ist man weiter. Der türkische Präsident (Ernst) wird mit einer kurzen Chronologie des Aufstiegs und der Skandale „gewürdigt“ – in gereimten Dialogen: „Gewählt ham dich 50 Prozent / der Rest dich dann wohl besser kennt“, lautet ein Einwurf von Cem Özdemir (Schubert), den Erdogan aber nicht als echten Türken ansieht. „Freiheit ist ein hohes Gut / das sage ich euch als Regent / Wenn Presse kritisieren tut / gehört sie aber eingeschränkt“. Jan Böhmermann (Tim Müller) tut in dieser Version der Ereignisse mit der türkischen Flagge ordentlich eins auf den Popo kriegen. Kim Jong-un (mit Rakete) und Merkel (mit Merkelraute) müssen sich hier mit Nebenrollen abfinden.


Auf den Schlips getreten: Böhmermann und Erdogan

„Was zählt, ist Krawatte“, sagt Hartmut Ernst, Oberexperte in einer TV-Expertenrunde, in der alle Experten für alles zu sein scheinen. Kreuzfahrtpassagiere auf dem Mittelmeer stoßen auf Flüchtlinge, erkundigen sich wie's denn so geht und weisen sie in eine neue Richtung – ein tolles Urlaubserlebnis, bis im eigenen Schiff Feuer ausbricht. Besonders gut kommt der Krätzjer von Susanne Hermanns und Meinolf Schubert an, die als larmoyantes, alterndes Jecken-Ehepaar von Platz zu Platz tingeln und keinen finden, der ihnen so ganz restlos gefällt. „Am Brüssler Platz is echt viel los“, singen sie, „alles total aussichtlos / das jeht uns richtig auf den Sack / überall Studentenpack“.

Zu den Wiederkehrern aus früheren Jahren zählen etablierte Figuren wie „Chantalls Mutter“ (Hermanns), die heute über die nicht verstandene Welt der Handys und Pokémons lästert: „Die Chantall hatte noch nie Sex – aber Pokemons ausbrüten!“ Wenn die Tochter behauptet, man sehe die Pokémons, „als wären die wirklich da“, platzt der Mutter fast der Kragen: „Chantall, der Dreck in deinem Zimmer ist auch wirklich da.“ – Der Türke Murat aus Köln-Kalk (Schubert) scheint selbst vom Gerede über die Islamisierung angesteckt zu sein und erzählt über den Terror, der jetzt sein „Nachbar“ sei – seit er die Familie seines Vaters vom Flughafen abgeholt habe. Die hat ein anderes Verständnis von Demokratie und ruft ihn dauernd auf dem Handy an. „Mein ganze Verwandschaft fällt über mein klein Abendland her mit ihre Gäbetstäppiche, Kopftücher und Badeschlappen, kann isch mich aufregen!“ Schon hat sein Vater die Deutzer Freiheit mit Pinsel und Farbe in die Türkische Freiheit umbenannt. – Alex, die Hessin (Putzler) verzweifelt diesmal darüber, dass heute alle so schnell beleidigt seien. „Beleidigtsein ist doch det Sinnloseste, was es gibt, oder?“ Man sei aber „nicht mehr up-to-date, wenn man nicht das Mimimi-Syndrom“ habe: „Die ganze Welt ist ständig beleidigt.“ Das kann sie leicht an Beispielen ausführen, die vom Privaten bis in die weite Welt reichen. „Stellvertretend beleidigt sein ist auch ganz groß, wenn man keine Hobbys und keine Freunde hat.“ So sind wir denn froh, dass der ganze Wahnsinn unserer Zeit bei Fatal Banal beim Namen genannt wird und somit niemandem mehr passiert.

„Fatal Banal – Session 2017“ | R: Britt Löwenstrom | 18., 19., 22., 24., 25, 26.2. 19.30 Uhr | Bürgerzentrum Ehrenfeld | www.fatalbanal.de

Text/Fotos: Jan Schliecker

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