choices: Herr Roters, Ihre Partei dümpelt bundesweit bei guten 20 Prozent, bei der Europa-Wahl haben die Grünen Sie in Köln überholt. Fühlen Sie sich jetzt als grüner OB-Kandidat?
Jürgen Roters: Ach nein. Die SPD wird die Kommunalwahl in Köln gewinnen und dann gemeinsam mit den Grünen den hoffentlich rot-grünen Oberbürgermeister unterstützen.
Bitte vollenden Sie den Satz „Gerade in finanziell schwierigen Zeiten, die auf uns zukommen, ist es Aufgabe der Politik,...
...sehr sorgfältig mit den vorhandenen Finanzen umzugehen, aber nicht mit dem Rasenmäher gerade auch soziale Strukturen zu beschädigen.
Die große Koalition in Berlin hat eine „Schuldenbremse“ ins Grundgesetz geschrieben. Was heißt das für hoch verschuldete Kommunen wie Köln?
Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie Bund und Länder das Schuldenmachen konkret bekämpfen wollen. Wenn jeder für sich spart, zunächst der Bund, dann die Länder, hängen die Kommunen erst recht am Tropf. Die Schuldenbremse darf sich nicht zu ihren Lasten auswirken. Wir in den großen Städten müssen die eigentlichen Zukunftsaufgaben lösen, das geht nur mit einer angemessenen Finanzausstattung. Das bedeutet, wir brauchen ein ganz neues Finanzsystem. Im Übrigen steht Köln noch vergleichsweise gut da, andere Städte können ihren Verpflichtungen nur noch über Kassenkredite nachkommen.
Aus Ihrer Sicht muss sich also die finanzielle Grundausstattung der Kommunen verbessern?
Ja. Das betont in diesen Zeiten natürlich jeder Kandidat. Aber: Wenn wir gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen haben wollen, muss unser Finanzsystem insgesamt die kommunale Basisfinanzierung stärken. Weniger steuernde Eingriffe durch das Land, mehr direkte Zuweisungen auch des Bundes an die Städte. Sowohl im pflichtigen Bereich als auch bei den freiwilligen Aufgaben.
Die freiwilligen Aufgaben gelten als Kern der kommunalen Selbstverwaltung. Was würden Sie neben der Kultur zu diesem Bereich zählen?
Soziale Aufgaben, die der Integration dienen und den sozialen Frieden sichern. Auch Aktivitäten wie das Stadtmarketing. Man muss sich im Klaren sein, uns in Köln stehen aktuell bei einem Haushalt von drei Milliarden etwa 200 Millionen für freiwillige Aufgaben zur Verfügung.
Stichwort Integration. In Köln gibt es ca. 80 sogenannte interkulturelle Zentren, die durchschnittlich mit 18.000 Euro gefördert werden. Werden Sie den Betrag aufstocken?
Wir werden hier analysieren müssen, ob man Aufgaben bündeln und die Mittel gezielter einsetzen kann. Die Mittel in der Summe stehen dabei nicht in Frage.
Martin Börschel, Fraktionsvorsitzender der SPD-Ratsfraktion möchte die vom Rat beschlossene Akademie der Künste der Welt möglichst schnell realisieren. Woher nehmen – aus dem Kulturetat, aus dem Sozialetat?
Aus dem Kulturetat.
Muss der Kulturetat erhöht werden?
Wir müssen hier wie überall sehr sorgfältig rechnen. Es ist leicht, mehr Ausgaben für Kultur zu fordern, ohne gleichzeitig zu sagen, wo man sparen will.
Oder wo man mehr einnehmen kann. Ihr Parteifreund Jürgen Büssow, der Düsseldorfer Regierungspräsident, hat empfohlen, sich bei der Preisgestaltung international zu orientieren. In Tokio kostet eine Opernkarte 120 Euro, in Köln die teuerste 66 Euro.
Es geht doch darum, breitere Schichten für die Oper zu begeistern. Das gilt auch gerade für junge Menschen. Deshalb verbietet sich eine solch drastische Erhöhung.
Wie viele Museen verträgt Köln eigentlich?
Wir haben acht kommunale plus einige private – insgesamt eine stattliche Zahl. Unsere Museumslandschaft ist Anziehungspunkt und Marketing- wie Wirtschaftsfaktor. Ob wir noch weitere Museen benötigen, wage ich zu bezweifeln. Wenn es nicht unmittelbar unter den Nägeln brennt, muss auch in Anbetracht der Finanzen kein neues Museum gebaut werden.
Und das Jüdische Museum?
Die Beschlüsse dazu sind schon gefasst. Auch wenn der private Förderverein sich zurückgezogen hat, ist die Handlungsoption da, zumal die Archäologische Zone eine Abdeckung erhalten muss.
Vorausgesetzt, Sie werden gewählt: Welche drei Themen stehen für Sie in den ersten hundert Tagen ganz oben?
Erstes wichtiges Anliegen: die soziale Balance in unserer Stadt zu wahren. Das heißt, den Anteil von Sozialarbeitern in problematischen Vierteln zu erhöhen und den Anteil der individuellen Förderung am Nachmittag zu verbessern. Zum Zweiten möchte ich den Wissenschaftsstandort Köln stärken und die Hochschulen und Forschungsinstitute stärker in der Stadt verankern. Eine Sofortmaßnahme hier: die Abschaffung der Zweitwohnungssteuer für Studenten. Zum Dritten: die Intensivierung des Umweltschutzes. Hier möchte ich erste Weichen für eine Energieeffizienz-Agentur stellen.
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