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„L’amour des hommes“ mit Hafsia Herzi

Die Macht der Blicke

24. September 2018

Der tunesische Film „L’amour des hommes“ beim Afrika Film Festival – Foyer 09/18

Mittwoch, 19. September: Im Filmforum wird der tunesische Film „L’amour des hommes“ in Anwesenheit des Regisseurs Mehdi Ben Attia gezeigt. Der Rahmen ist das zum 16. Mal stattfindende Afrika Film Festival, das diesmal seinen Fokus auf die innerafrikanische Migration legt. Diese sei in europäischen Medien und in der Politik nicht sehr präsent, obwohl Afrika die Hälfte der „Flüchtlinge“ weltweit beherbergt, zählt man die Maghreb-Staaten hinzu, heißt es in der Einleitung des Festivalprogramms. Vor Beginn des Films betont Amin Farzanefar vom Verein FilmIniativ Köln, der das anschließende Gespräch mit dem Regisseur moderiert, das Festival wolle einen anderen, neuen Blick auf den afrikanischen Kontinent ermöglichen – hierzu eigne sich „L’amour des hommes“ besonders gut, da der Blick im Mittelpunkt des Films stehe. In den gut gefüllten Saal fanden auffallend viele junge Leute. Farzanefar freut sich: „Jetzt ist das Wetter schon so lange schön, dass man auch wieder ins Kino gehen kann. Gut für uns.“


Mehdi Ben Attia und Amin Farzanefar
Foto: Esther Rosiny-Wieland

Der Film handelt von der jungen Fotografin Amel (Hafsia Herzi, „Exit Marrakech“), die nach dem überraschenden Tod ihres Mannes anfängt erotische Fotos von Männern zu machen. Sie lebt in Tunis, in der Wohnung ihrer Schwiegereltern, die sehr unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehen. Während das Verhältnis zur Schwiegermutter angespannt ist, wird sie vom Schwiegervater sowohl moralisch als auch finanziell in ihrer Arbeit unterstützt, wodurch zunehmend ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Dabei versucht Amel die Abhängigkeiten, denen sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation unterlegen ist, immer wieder aufzubrechen. In der Fotografie gelingt ihr dies schließlich: Am Anfang gibt sie ihren männlichen Modellen nur zaghaft Anweisungen. Schnell wird sie selbstbewusster und übt zunehmend mehr Macht aus, indem sie die Männer inszeniert, also in die richtigen Posen einweist. Es entsteht immer ein intimes Verhältnis zwischen der Fotografin und dem Modell: Manche Männer ziehen nur langsam ihre Kleidung aus, andere können dies kaum erwarten – mit der Kamera scheint Amel sie zusätzlich auszuziehen. Man weiß nie, ob vielleicht mehr zwischen den beiden passieren könnte. Das, was oft wie ein Spiel wirkt – ein Kennenlernen von anderen Körpern und Austesten von Grenzen –  kann auch zu Grenzüberschreitungen führen. Ein männliches Modell bedrängt Amel, nachdem sie ihm klargemacht hat, dass sie zu keinen sexuellen Handlungen bereit ist – zwei andere Männer, die sie in homoerotischen Posen fotografiert, fangen an sich zu schlagen. Amel nimmt es in Kauf für ihre Arbeit von Leuten auf der Straße oder in ihrer Ausstellung angegangen und bedroht zu werden – die Erkundung der Lust mithilfe der Kamera und der damit verbundene emanzipatorische Akt scheint wichtiger zu sein.

Normalerweise sei die Frau das Modell, sagt Regisseur Mehdi Ben Attia im Anschluss und fügt hinzu: „Ich wollte das anders machen. Es ist selten, dass eine Frau ihren Blick auf Männer wirft. Ich glaube, das ist überall der Fall.“ Im Publikum wurde viel gelacht – entweder weil die Begegnungen zwischen Amel und den Modellen immer wieder zu komischen Momenten führten – oder aus Verlegenheit. Auch als Zuschauer war man teil der erotisch aufgeladenen Situationen und den eigenen Blick konnte man durchaus als voyeuristisch erleben. Mehdi Ben Attia erklärt, dass diese Grenzüberschreitungen auch ihn als Regisseur beträfen: Der Blick auf eine andere Person übt offensichtlich Macht aus – ob im Film, am Set oder im Kinosaal.

„L’amour des hommes“ wurde von der tunesischen Regierung unterstützt und nicht zensiert –  der Regisseur stellt fest: „Es passiert etwas in Tunesien.“ Er hätte den Eindruck, dass in Europa mehr über die Provokation gesprochen wurde als in Tunesien. Eine Zuschauerin sagte nach dem Gespräch lachend zu einer Freundin: „Was das im Kino mit allen Leuten gemacht hat.“

Esther Rosiny-Wieland

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