choices: Herr Grünewald, die Frage an Sie als Köln-Psychologe: der größte Kölner Skandal der letzten Jahrzehnte?
Stephan Grünewald: Mit Sicherheit der Einsturz des Historischen Archivs. Das war nicht nur ein hydraulischer Grundbruch, das ist aus meiner Sicht auch ein Grundbruch für die kölsche Seele. Für die Kölner verbindet sich damit die erschütternde Erfahrung, dass ihre Stadt sie sinnbildlich fallen lässt. Ihr Urvertrauen zur Mutter Colonia ist beschädigt.
Dieses Urvertrauen ist durch die zunehmende Häufung der Skandale doch längst angeschlagen. Es sei denn, man betrachtet die Klüngelei als typisch kölsch.
Das Liebenswerte an Köln ist doch, dass man hier immer wieder versucht, Widersprüchliches in Einklang zu bringen, Metropole und Kaffeebud, das Genussvoll-Gemütliche wie das Aufstrebende. Das führt zu einer Mentalität, die man als optimistische Schicksalsergebenheit beschreiben kann. Man will mit wenig Aufwand viel Ertrag erzielen. Wenn in Köln geklüngelt wird, schreien die Kölner ja nicht „Haltet den Dieb“, sondern lassen es einfach mal gewähren.
Von einer solchen Gelassenheit ist derzeit wenig zu spüren.
Wegen dieser traumatisierenden Erfahrung dreht sich im Moment die Stimmung vollkommen. Man will Verantwortliche dingfest machen, sogar den OB absetzen...
Das ist gar nicht typisch kölsch?
Die gekonnte Unentschiedenheit der Kölner kann natürlich wie erfahren in der Katastrophe münden. Dennoch sollte Köln jetzt nicht zu einem peniblen, kleinkarierten Stadtstaat mutieren. Der Schlendrian darf jedoch nicht mehr bei wichtigen politischen Entscheidungen oder öffentlichen Aufsichtspflichten obwalten. Der Stadtverwaltung kommt hier eine besondere Verantwortung zu.
Ihr Plädoyer: preußisch bei der Arbeit, kölsch nur noch in der Freizeit?
Das kölsche Wesen geht nicht verloren, wenn man etwas seriöser agiert. Wir verraten unsere Mentalität nicht, wenn wir bei lebenswichtigen Angelegenheiten ganz anders hinsehen, eben preußischer kontrollieren.
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