Kurz bevor die Sommerferien mit aller Wucht über uns hereinbrechen, läuft das Theater noch einmal zur Hochform auf. Die Festivals in der Region verabreichen uns eine theatrale Überdosis, die wir dann in harten Wochen des Entzugs an Strand und in den Bergen wieder kompensieren können. Im neanderland, also den Städten im Kreis Mettmann, ist Aufbruch angesagt. Dort hat die junge Katja Lillih Leinenweber die Leitung der neanderland Biennale übernommen und daraus ein polnisch-französisch-deutsches Festival gemacht. Die 36-jährige Festivalchefin setzt dabei vor allem auf die vielfältigen Formen des Straßentheaters. Nachdem der Auftakt mit einer gemeinsamen langen Tafel und zahlreichen kleinen Aktionen in Haan gefeiert wird, können die Bürger von Ratingen der Konstruktion einer Wundermaschine beiwohnen. Mit Artistik, Jonglage und Schauspiel verwandeln die drei Darsteller in „La Machine“ einen Schrotthaufen in eine wundersame Maschine. Im Herminghauspark in Velbert wird dann ein paar Tage später der „Venezianische Karneval“ ausgerufen, den das Theater Gry i Ludzie aus Kattowitz ins Grün bringt. Und zum Abschluss veranstaltet dann die französische Straßentheater-Gruppe Les Anthropologues ein gewaltiges Freiluftspektakel unter dem Titel „Alice in den Straßen“ ein.
Anfangs war die Stadt Neuss ziemlich zögerlich, als die Idee aufkam, das Shakespeare-Festival doch in einem Nachbau des historischen Globe Theatre stattfinden zu lassen. Wer setzt sich schon freiwillig im Hochsommer in eine hölzerne Bretterbude? Doch wer einmal die intensive, hautnahe Spielweise erlebt hat, wird gerne alljährlich wiederkommen. Seit 1991 wird nun im Globe direkt neben der Pferderennbahn gespielt und zwar von Truppen aus der ganzen Welt in der jeweiligen Originalsprache. Ausschließlich Shakespeare natürlich. So wird die Tobacco Factory aus Bristol ihre sehr körperbetonte, durchchoreographierte Interpretation von „Romeo und Julia“ vorstellen, in der Paapa Essiedu und Daisy Whalley ein hinreißendes Liebespaar abgeben. Die Cia Completa Mente Solta aus Rio de Janeiro dagegen arbeitet unter Regisseur Márcio Januário seit Jahren an der Umsetzung von Shakespeare-Stoffen in den Alltag Jugendlicher in den Favelas. In Neuss gastiert sie nun erstmals und hat ihre „Trans Hamlet Formation“ im Gepäck. In deutlichem Kontrast dazu steht die die fantasievoll-verspielte Deutung von „Der Widerspenstigen Zähmung“ durch die Regisseurin Holle in einer Produktion von Schauspielhaus und Kunstuniversität Graz. Darüber hinaus sind natürlich auch wieder zahlreiche alte Bekannte dabei wie die Bremer Shakespeare Company, der englische Regisseur Guy Retallack mit einer preisgekrönten „Macbeth“-Interpretation oder das Ensemble Die Theaterachse aus Salzburg mit „Die lustigen Weiber von Windsor“. Und wer dann noch nicht genug hat, der kann einen Abstecher zum Africologne-Festival in Köln oder beim Impulse Theater Festival in Mülheim, Düsseldorf oder Köln machen. Die ganze Welt ist Bühne – vor allem im Juni.
neanderland Biennale | Kreis Mettmann | 29.5.-21.6.| www.neanderland-biennale.de
Shakespeare Festival | Globe Theatre, Neuss | 28.5.-27.6. | www.shakespeare-festival.de
Africologne | Theater im Bauturm, Köln | 17.-27.6. | www.africologne.de
Impulse Festival | Mülheim/Ruhr, Düsseldorf, Köln | 11.-20.6. | www.festivalimpulse.de
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