Erste Station: Cineplex. Hier am Ring laufen in der Regel eher Mainstream-Filme. Seit Dezember letzten Jahres findet immer Mittwochabends um 23 Uhr eine geheime Premiere statt. Der Andrang ist an diesem Tag mittel, das Publikumsalter gemischt. Von der Rentnerin bis zum Studenten ist alles dabei. Viele von ihnen gehören zum Stammpublikum. Der Besucher links neben mir ist ein richtiger Preview-Nerd, kommt er doch bis zu fünfmal im Monat zu einer inoffiziellen Vorschau, wie er mir verrät. „Ich liebe das Unerwartete“, sagt er. „Den Überraschungsmoment. Es kann total danebengehen, klar. Dann klebt man zwei Stunden lang mit seinem Popo im Sitz fest. Es kann aber auch super sein. Ich mag das gesamte Erlebnis, die Atmosphäre. Und bei fünf Euro kann nichts schiefgehen“, sagt Patrick.
Schließlich geht es los, und Nachbar Patrick klopft sich permanent vor Lachen auf die Schenkel. Er hat auch allen Grund dazu. In weiser Voraussicht hat er sich lieber kein Popcorn besorgt, denn das würde mit dem Klatschen nur schwer kompatibel sein. Ein bisschen seltsam ist jedoch die innere Fragestellung: Darf ich jetzt lachen, oder ist das, was ich da sehe, am Ende total kommerzieller Bullshit? Erscheint gleich etwa Kevin Costner auf der Leinwand, oder schlimmer noch Arnold, Arnie Schwarzenegger mit seinen stählernen Oberarmen? Was mache ich in dem Fall? Bleibe ich sitzen oder poltere ich dann frecherweise hinaus?
Rasend und polternd: „Super Troopers 2“
Was folgt, ist eine Satire der Sonderklasse einer skurrilen, pseudo-amerikanischen, trotteligen Polizisten-Gang und ihr Zusammenstoß mit Kanadiern, die immer ganz unamerikanisch „sorry“ sagen, was die amerikanischen Krawall-Ordnungshüter in Rage bringt. Ein neu entfachter, äußerst prolliger Grenzstreit um den Staat Vermont. Aktueller denn je, sind doch Grenzstreitigkeiten wieder in Mode. Überhaupt wirkt die Komödie „Super Troopers 2“, die zugegeben stellenweise etwas drüber, aber immerhin lustig ist, wie eine Persiflage auf Donald Trumps Politik, können die angeblichen Polizisten doch weder Französisch noch haben sie irgendeinen Sinn für Höflichkeit, Benehmen oder besitzen irgendeine Form von Intelligenz. Fast ist es so, als würden sich Trump und Trudeau höchstpersönlich eine Schlacht der Extraklasse liefern.
„Sneak-Previews bieten die Möglichkeit, auch mal kleinere Filme zu zeigen. Nicht jede Woche läuft bei uns ein Hollywood-Blockbuster“, verrät Andreas Stephan, Theaterleiter des Cineplex alias Filmpalast, in dem viele Actionfilme laufen. Ich frage mich die ganze Zeit, während vor mir auf der Leinwand kanadische Bären die amerikanische Polizisten-Gang auffressen möchten, ich hässliche Schnurrbärte betrachte und flachen Witzen lausche, ob ich es hier mit einem Blockbuster der Kategorie D zu tun habe, oder aber, ob es sich tatsächlich um eine kluge satirische Nischeninszenierung handelt. Ein Überraschungsfilm lässt völlig neue cineastische Fragen aufkommen. Mögen wir, pseudo-kulturelle Hipster von heute, nur Filme, wenn wir vorher ganz genau wissen, dass sie ein Nischen-Low-Budget-Projekt sind, oder kann uns auch mal ein massentauglicher, kommerzieller Film überzeugen? Sehen wir Filme ausschließlich, wenn wir vorher den Regisseur und den Trailer kennen? Ist das nicht rassistisch? Und ist das, was ich da sehe, nicht eine intelligente Persiflage auf eine dumme Gesellschaft? Während ich noch immer hin- und hergerissen bin, scheint das Publikum von dem Grenzstreit jedenfalls begeistert zu sein. Niemand ist eingeschlafen, trotz inzwischen sehr später Stunde.
Am Ende atme ich fast ein wenig auf, als ich feststelle, dass es sich Gott sei Dank um ein Independent-Projekt von fünf College-Studenten handelt: Jay Chandrasekhar, Steve Lemme, Erik Stolhanske, Paul Soter und Kevin Heffernan. Diese – so teilt mir mein Sitznachbar mit – spielten bereits die Hauptrollen im ersten Teil von „Super Troopers“ und verfassten das Drehbuch, Chandrasekhar führte Regie. Die kleine Produktion spielte ein Zigfaches ihres Budgets ein. Ich weiß es natürlich wieder nicht, ich habe die Vorgänger-Komödie damals leider nicht gesehen. Vielleicht ja auch wegen des Namens, den ich ein wenig abschreckend finde: „Super Troopers – Die Superbullen“. Auch das ist eine Erfahrung. Der Titel fällt ja bei einer Preview oft weg. Man liest nur noch am Ende, wer das Kostüm schneiderte oder den Namen des Produzenten. Schade eigentlich – hätte ich das damals gewusst, was sich hinter dem bulligen Namen verbirgt, wäre ich vielleicht doch hineingegangen. Der Nerd neben mir scheint sehr bewandert zu sein. Kein Wunder, er geht ja auch zu sämtlichen Previews dieser Welt. Ob er eine Vorahnung gehabt habe, welcher Film laufen könnte? frage ich ihn. „Nein. Da kann alles und nichts kommen“, sagt Patrick.
Das Cinedom spielt ebenfalls Sneak-Previews, immer um 23 Uhr am ersten Donnerstag im Monat, für sieben Euro. „Ausschließlich Action- und Horrorfilme“, sagt man mir am Telefon. „Keine ‚Schnulzen‘.“ Ich beschließe, meine Schleich-Mission im Odeon-Kino fortzusetzen.
Hier im Independent-Südstadt-Kino werden eher skurrile Nischenfilme für junge Leute präsentiert – so auch bei den Previews, die erst kürzlich ins Leben gerufen wurden: „Wir machen Sneak-Previews, weil wir Spaß daran haben. Es ist auch ein wenig wie ein Test“, sagt Geschäftsführer Jürgen Lütz. „Wir machen kein Action und keinen Horror, sondern alles, was gut ist. Bei uns läuft viel Sonderprogramm. Das kann eine Doku sein, das kann fiktional sein. Es ist lustig, eine Art Sneak zu haben, die viele jüngere Leute spannend finden. Das Gute ist, dass es nicht so risikobehaftet ist. Der Zuschauer kann sagen: Ich habe mich was getraut. Wenn der Film nicht meinem Geschmack entspricht, ist es auch nicht so schlimm. Ich habe ja nicht so viel gezahlt.“
Also gehe ich zu einer solchen Vorpremiere, die jeden zweiten Mittwoch im Monat um 21 Uhr stattfindet, gespannt auf den kuriosen Independentfilm, der mich dort gleich erwartet. Das Publikum hier ist eher jung bis mitteljung. Typ Student. „Wir gehen öfters hierhin, weil es ein schönes Gemeinschaftserlebnis ist, weil hier oft ganz gute Filme gezeigt werden, und weil es nur fünf Euro kostet“, sagen zwei Besucher. „Ich bin sehr gespannt, was mich heute erwartet“, eine weitere. Dann geht der Vorhang hoch und siehe da: ein Roadmovie. Eine im Sommer angesiedelte Wohnmobil-Geschichte, die sich fast ausschließlich im Inneren abspielt. „Den Film wollte ich sowieso sehen!“, freut sich eine inoffizielle Premierenbesucherin, die sich später als „Walli“ vorstellt. Empathisch verfolgt das Publikum die Reise, Kommentare Wallis inklusive: „Ja, nun mach doch mal. Küss sie doch mal endlich. Mensch, Junge!“
„303“: Entschleunigendes Roadmovie
Der Inhalt von „303“: Eine Chemie-Studentin namens „Jule“, die soeben durch ihre Prüfung fiel, fährt mit ihrem Wohnmobil von Berlin nach Portugal, um dort ihren seit einiger Zeit in einer für freie Liebe plädierenden Kommune lebenden Freund zu besuchen, mit dem sie ab- und zu am Telefon diskutiert. Jule wirkt etwas blass und abgespannt. Ständig überlegt sie, diverse Tabletten zu schlucken. An einer Tankstelle trifft sie „Jan“, einen Studenten, der kein Stipendium erhält, wie er soeben erfuhr, und dessen Mitfahrgelegenheit geplatzt ist. Er will seinen leiblichen Vater, den er noch nie getroffen hat, in Spanien besuchen. Also nimmt sie ihn kurzerhand mit. Eine Reise zweier unterschiedlicher Menschen, die verschiedene Ansichten zum Thema „Liebe“ und „Partnerschaft“ pflegen, beginnt, lässt Jan doch niemanden an sich heran und kam seine längste Beziehung auf gerade mal sechs Monate, worüber sich Jule, die Kooperation als etwas Natürliches betrachtet, amüsiert. Während Jan in puncto Fortpflanzung eher darwinistisch geprägt ist – „der Stärkere setzt sich evolutionär durch“ und „Monogamie ist kulturell programmiertes Unglück“ – ist Jule der Überzeugung, dass Wettbewerb und Kapitalismus den Menschen nicht weiterbringen. Zugleich ist die Reise – wer hätte es gedacht – ein romantischer Trip, dessen Romantik aber bis zum fast letzten Moment aufgespart wird. Ein philosophischer Trip, der erstaunlich viele mutige, reine Konversationspassagen enthält.
Über das Leben, die Liebe, Sex, Angst, freie Liebe, Partnerschaften, Polyamorie, Vertrauen, Fortpflanzung, Kapitalismus, den Tod. Der Sex wird theoretisch – und in deutscher Manier – bei einer Pause im Wald – chemisch und biologisch genauestens angedacht und philosophisch pre-analysiert, bevor es doch noch zum Akt kommt, ohne dass er gezeigt wird. Spannend sind eigentlich die Geheimnisse, die beide hegen…
Während wunderschöne Landschaften Frankreichs, Spaniens und Portugals vorbeirauschen, überlege ich a), ob ich die Schauspieler kenne, und b), wer der Regisseur sein könnte. Das entschleunigende Roadmovie der Sorte „slow“, das wirklich sehr dokumentarisch auf engstem, minimalistischem Raum im Wohnmobil stattfindet, und die Diskussionen um freie Liebe und Vertrauen, erinnern beizeiten ein wenig an Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ oder „Before Sunrise“. Ein Film, der sich viel Zeit lässt. So viel, dass der Besucher hinter mir zwischendurch leicht aufstöhnt und eine andere neben mir am Ende einschläft. Leider ist das Ende für meinen Geschmack ein wenig zu romantisch. Trotzdem, wer langsame Campergeschichten mit ebenso bedächtiger Romantik mag, kommt auf seine Kosten.
Die Reaktionen des Publikums sind ähnlich (Achtung Spoiler!): „Ich fand den Film eigentlich ganz gut und interessant – bis auf das Ende. Das war mir zu einfach und romantisch. Da war ich etwas enttäuscht“, sagt eine Besucherin. „Ich hatte zufällig den Trailer zuvor gesehen und wollte diesen Film unbedingt sehen. Deshalb habe ich mich erst sehr gefreut. Meines Erachtens hatte er aber ein wenig zu viele Längen“, findet Walli. „Nicht schlecht, aber etwas zu klischeebehaftet“, bewertet Robin. „Ich bin auch davon ausgegangen, dass Jan seinen Vater wirklich kennenlernen wollte. Aber das hat alles nicht stattgefunden. Stattdessen hat Jule zugunsten der Dramaturgie schließlich ihr Kind verloren und sich einfach für ihn entschieden. Das war mir etwas zu platt. Aber es waren ja nur fünf Euro Eintritt.“
Im Abspann steht „Regie: Hans Weingartner“. Ich lag also gar nicht falsch: Der österreichische Regisseur drehte „303“ als Low-Budget-Projekt. Kurz nach meinem Preview-Besuch startete auch dieser Film im Kino.
Im Cinenova in Ehrenfeld kann man sich seit Kurzem ebenfalls einmal im Monat zu einer Vorschau unterschiedlichster Art schleichen. „Wir bemühen uns, nur gute Filme zu zeigen“, so Sandrine Borck vom Cinenova.
Nächste Termine: Odeon: 8.8., 12.9. 21 Uhr (OmU, 5 €) | Cineplex: 8.8., 15.8. 23 Uhr (5 €) | Cinenova: 15.8. 21 Uhr (OmU, 6 €) | Cinedom: 6.9. 23 Uhr (OV, 7 €)
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