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Regisseurin Mirja Biel auf der Probe
Foto: Thilo Beu

„Das Schloss handelt repressiv“

27. Mai 2016

Hausregisseurin Mirja Biel dramatisiert am Theater Bonn Franz Kafkas „Das Schloss“ – Premiere 06/16

Ist Frieda die Lösung? Oder Erlanger? Oder vielleicht doch Momus? Die Versuche von K., mit dem Schloss Kontakt aufzunehmen, scheitern auf ganzer Linie. Seit er mit der Aussicht auf einen Job als Landvermesser ins Dorf gekommen ist, verfängt er sich in einem undurchschaubaren Beziehungsgeflecht. Da Frieda die Geliebte des Kanzleivorstands Klamm ist, schien sie ein lohnender Anlaufpunkt. Erlanger als Klamms Sekretär ebenfalls. Auch Momus soll als Dorfsekretär Beziehungen zum Schloss unterhalten. Doch K. kann nicht nur seinen Job als Landvermesser nicht antreten. Er sinkt allmählich zum geduldeten Schuldiener und am Ende sogar Pferdeknecht herab. Das Schloss allerdings bleibt unerreichbar, seine Macht undurchschaubar. Ein Gespräch mit Regisseurin Mirja Biel, die am Theater Bonn Franz Kafkas Roman „Das Schloss“ in einer eigenen Fassung auf die Bühne bringt.

choices: Frau Biel, wieviel Komik steckt in Kafkas „Das Schloss“?
Mirja Biel: Die Komik in Kafkas „Das Schloss“ ist hintergründiger als beispielsweise in „Amerika“, aber durchaus nicht unwichtig. Es gibt klassische Slapstick-Szenen, in denen K. im Roman Aktenberge herumbalanciert, transportiert, auf Wägelchen herumfährt. Das sind Szenen, die man regelrecht filmisch vor sich sieht. Komik liegt aber auch im ständigen Verwirren des Sinns, der dann zu Orientierungsverlusten führt. Dazu in einer Sprachkomik, einer ins Absurde zielende dialogische Komik.

Inwiefern bedienen Sie diese Komik?

Mirja Biel
Foto: Thilo Beu

Mirja Biel ist Regisseurin und Bühnenbildnerin und wurde 1977 in Kiel geboren. Nach einer Ausbildung zur Theatermalerin am Theater Lübeck studierte Biel Literatur-, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin. 2007 machte sie an der Theaterakademie Hamburg ihr Regie-Diplom. Bis 2014 arbeitete sie als Regieduo Biel/Zboralski mit ihrem verstorbenen Partner Joerg Zboralski zusammen. Biel realisierte zuletzt „Gefährliche Liebschaften“ und Goethes „Werther“.

Der Roman muss schon mit einer gewissen Ernsthaftigkeit erzählt werden. Dennoch habe ich immer ein Interesse, ernsthafte Sachverhalte mit einer gewissen Leichtfüßigkeit auf die Bühne zu bringen.

K. kommt in ein Dorf. Solche Gemeinschaften stehen exemplarisch für den Verzicht von Freiheit, Autonomie und Individualität. Haben wir es auch mit einer Diktatur der Gemeinschaft zu tun, die K. zum Paria macht?
K. ist der Fremde, der in ein geschlossenes, labyrinthisches System kommt, das nicht zugänglich ist; vor dem man fremd davorsteht und versucht, es zu verstehen. Das Dorf im Speziellen funktioniert über eine gewisse Form von Angst. Die Familie des Barnabas zeigt, dass das Schloss über Machtinstrumente verfügt, um Dorfbewohner aus der Gemeinschaft auszuschließen. Das hat dann ernsthafte Konsequenzen für den eigenen Status. Man hat es also mit einer sehr hierarchisch organisierten Struktur zu tun, deren Kopf unbekannt ist und die sich im Laufe des Romans immer mehr zu entfernen scheint. Wir wissen, dass es Handlungsstrukturen und eine Regelhaftigkeit gibt, die aber nie konkret benannt werden. Das ist das Problem von K. Ob es also eine selbstgewählte oder aufoktroyierte Struktur ist, wird nicht aufgelöst.

Warum ringt K. derart um die Eingliederung in die Dorfgemeinschaft?
Wir erfahren aus dem Roman, dass es sich für K. um einen Kampf handelt. Ich unterstelle, dass es sich um den Kampf um die Anerkennung seiner Existenz handelt. Über seine Vorgeschichte wissen wir kaum etwas, es werden einmal eine Frau und Kinder erwähnt. Es gibt aber offenbar einen Innendruck in der Figur, die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft zu erlangen. Dieser Druck bleibt abstrakt und ist vielfältig ausdeutbar.

Ist das Heimatlosigkeit, existenzielle Unbehaustheit oder schlicht Einsamkeit?
Man kann den Roman auf die persönliche Geschichte K.s runterbrechen, der versucht, für sich einen Platz in der Welt zu finden. Man kann allgemeiner von einer Umwelt sprechen, in der Strukturen und Zusammenhänge immer undurchsichtiger werden und es tatsächlich ein Kampf sein kann, den Ort zu finden, an dem sich die eigene Existenz einlöst. Insofern geht es auch um Heimat oder eine existenzielle Unbehaustheit. Der Stoff taucht derzeit nicht umsonst in den Spielplänen vieler Theater auf.

Ist K. nicht auch einfach arrogant und anmaßend?
Das sind alle Kafka-Figuren, bei K. ist das am stärksten ausgeprägt. Da fallen zum Teil unglaubliche Sätze in der Absolutheit der Betrachtung. Er deutet vieles auch falsch, weil er nicht über den eigenen Schatten springen und aus erlernten Bewertungsstrukturen ausbrechen kann. K. versucht, seine Individualität dadurch zu bewahren, dass er Anweisungen nicht befolgt. Das geht permanent schief, auch wenn der Anspruch absolut nachvollziehbar ist.

Wie sinnvoll, wie logisch entwickelt sich denn die Handlung?
Wie immer bei Kafka gibt es extreme Beschleunigungen. Die Handlung erstreckt sich über gerade mal vier Tage. Die Beziehungen entwickeln sich abrupt und heftig und unterliegen immensen Schwankungen. Es gibt keine durchgehende dezidierte Logik, die Figuren reagieren sehr situativ. Man muss in jeder Situation konkret gucken, was die Logik der anwesenden Figuren ist.

Was bedeuten dieses Abrupte und diese Schwankungen für den Raum?
Ich habe mit meiner Bühnenbildnerin Petra Winterer lange nach einer atmosphärischen Umsetzung gesucht. Wir haben uns sehr viele Schneefilme angeguckt, isländische, norwegische, alles Mögliche. Filme, die etwas über ein Klima, über eine Stille, über ein Abgeschiedensein, ein Hängengebliebensein erzählen. Schließlich haben wir uns für eine realistische Schneelandschaft mit Gebäuden entschieden. Es ist auf unserer Bühne allerdings auch möglich, überall zu erscheinen und zu verschwinden. Dadurch entsteht ein Gefühl der Beobachtung, der Anwesenheit und Öffentlichkeit. Das kann komisch sein, aber auch extrem unheimlich und beängstigend. Die Beunruhigung, der K. ausgesetzt ist, das macht einen großen Teil der Bildqualität der Inszenierung aus.

Lässt sich sagen, was die Macht des Schlosses letztlich ausmacht?
Zumindest das Geheimnis (lacht). Natürlich gibt es eine Struktur mit Schlosssekretären, Dorfsekretären und Boten, die in einer nicht bekannten Art zu funktionieren scheint. Es kann Konsequenzen haben, wenn man sich nicht an das Regelwerk hält. Das Schloss handelt repressiv, um eine autarke, begrenzte Struktur zu erhalten. K.s Auftauchen wird von dieser Struktur als Angriff gedeutet, weil er die Regeln infrage stellt. Ich kann das Schloss nur als abstraktes Bild begreifen, dem ich auf der Bühne eine Regelhaftigkeit und sinnhafte Logik verleihen muss. Ich werde mich mit Sicherheit nicht dazu aufschwingen, als erste Regisseurin dieses Schloss zu interpretieren.

Gibt es konkrete Hinweise auf die Bedeutung des Schlosses?
Am deutlichsten vielleicht, dass das Schloss dem Grafen Westwest gehört. Das würde ich konkret geographisch verstehen. Es scheint tatsächlich eine westliche Welt für Kafka gegeben zu haben, die auf ihn eine gewisse Faszination ausgeübt hat, ohne dass er sie kannte. Der Name des Grafen steht für einen Ort der Sehnsucht, ohne dass dessen Schattenseiten unterschlagen würden.

Warum verlässt K. nicht einfach das Dorf, so wie er zuvor gekommen ist?
Weil er gekommen ist, um zu bleiben. Das ist die Behauptung, mit der man diese Figur erzählen muss. Frieda bietet ihm an, mit ihm nach Spanien auszuwandern. Das scheint für K. keine Möglichkeit zu sein. Es gibt im Leben immer Punkte, an denen es eine Vehemenz braucht, um sich zu verorten.

„Das Schloss“ | R: Mirja Biel | Fr 10.6.(P), Sa 25.6., Mi 29.6. 19.30 Uhr, So 12.6. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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