Viel zu eng, viel zu viel! Erinnert man sich an die großartige Retrospektive von Georg Herold vor etwas über einem Jahrzehnt in Köln und Baden-Baden, wo die Skulpturen, Objekte und Leinwandarbeiten nach Gruppen sortiert waren, so wirkt die Werkschau im Kunstmuseum Bonn etwas unentschieden, ob sie die Vergangenheit rekapitulieren oder die Gegenwart vergleichend zusammenstellen soll. Aber genau dadurch lassen sich die Konstanten der Kunst von Georg Herold ausmachen, etwa die Verwendung des Profanen in der Durchmischung mit dem Luxuriösen und die labile Kombination von Lapidarem und Provisorischem. Ebenso gehören ein enormer Witz – bei dem Text (direkt auf den Werken und in den Titeln) eine Rolle spielt – und andererseits die sorgfältige Ordnung und Archivierung (bis hin zum Gefäß im Gefäß) zu diesem wie selbstverständlich auftretenden, aber irgendwie abwegigen Werk. So sind auf Leinwänden Ziegelsteine oder aber Mengen von Kaviar befestigt. Und es gibt riesige, schlank aufwachsende Lattenfiguren teils im Anzug oder ganz mit Stoff oder farbiger Folie überzogen. Andere, gebückte Figuren hat Herold in Bronze gegossen. In den Vitrinen befinden sich Einmachgläser, die unter anderem Socken enthalten. Erstaunlich sind auch die winklig aufgeklappten Zollstöcke, auf denen Ortsnamen geschrieben sind, wodurch sie zu Landkarten und Grenzen werden und dadurch Zeitgeschichte thematisieren. Überhaupt, zu trauen ist diesen dadaesken Formfindungen mit den rohen Materialien nicht. Herold unterläuft alle Erwartungen an das Wahre, Gute, Schöne von Kunst und bringt gesellschaftskritische Aspekte ins Spiel. Wichtig sind dabei seine biografischen Erfahrungen.
Georg Herold wurde 1947 in Jena geboren; er hat in der DDR an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studiert. 1973 wurde er beim Fluchtversuch in den Westen gefasst und nach neun Monaten Haft von der BRD freigekauft. Hier hat er sein Studium zunächst in München und dann in Hamburg fortgesetzt, bei Franz Erhard Walther und besonders bei Sigmar Polke. Dessen ironische und subversive, für Experimente offene Arbeitsweise kehrt nun auch in Herolds Werk wieder, seit er in Hamburg mit Albert und Markus Oehlen und Werner Büttner einen Gegenpol zu den zeitgleich malenden „Jungen Wilden“ bildete.
Seit 1983 lebt Herold in Köln, 1999-2014 war er Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Längst gehört er zu den wichtigsten Bildhauern seiner Generation, der die Traditionen seines Mediums respektiert und zugleich überwindet. Wie weit das geht, zeigen in Bonn die ganz neuen Farbfotografien, die, ihrerseits skulptural gedacht, wie verrutschte Aufnahmen blöder Situationen des heutigen Alltags wirken und ganz nebenbei unser Leben kommentieren: Zeitgemäße erste Sahne!
Georg Herold | bis 7.1. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
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