Hell erleuchtete Vitrinen in einem Darkroom des Bonner Kunstmuseums sind die ersten Eindrücke der drei Preisträger:innen des diesjährigen Dorothea von Stetten-Kunstpreises, der in diesem Jahr junge Kunst aus Polen auszeichnet. Bereits zum 20. Mal findet das Event dort statt, in diesem Jahr wieder ohne Maskenpflicht. Dass es drei Gewinner:innen gibt, ist allerdings ein Novum, zum ersten Mal in der Geschichte des Preises haben die ausgewählten Künstler:innen beschlossen, die Auszeichnung und das Preisgeld von 10.000 Euro zu teilen. Diana Lelonek zeigt in den Vitrinen ihre „Abfallpflanzen“, die auf nutzlos gewordenen Alltagsgegenständen wachsen und von der Künstlerin in den Schaukästen mit Licht, Luft und ab und an mit H2O-Sprühnebel genährt werden. Trotz des mülldeponiehaften Wirkens der Objekte erzielen sie eine enorme ästhetische Wirkung in der Gesamtkomposition, wenn sich die Besucher:innen darauf einlassen. Drei großformatige Fotografien an den Wänden untermalen diese Beobachtung eines Reizes des eigentlich Belanglosen. Wie von der Künstlerin gefordert ist der Blickwinkel auf Biotope verändert.
Offensiv religiös geht es weiter. Daniel Rycharski reflektiert sexuelle Identität zwischen den Pfeilern Glauben und ländlicher Provinzialität. Seine Arbeiten unter dem Titel „Liebe ist für alle da, auch für mich“, ein Rammstein-Zitat von 2009, erheben das Kruzifix zur seriellenObjekthaftigkeit. Ein Kreuzträgt die ganze Konstruktion eines Nestes samt bunten Federn, in der Ecke bilden dutzende schwarze Kruzifixe eine mächtige Raute. Gefundene Objekte aus seiner dörflichen Heimat widmet er um, ein altes rostiges Schwungrad wird mit Milch und Öl gefüllt zum Ying und Yang-Symbol des Daoismus. Wie in der polnischen Gesellschaft heute stehen sich zwei rivalisierende Kräfte gegenüber, die Rycharski scheinbar zu glätten versucht, so können die Besucher:innen durch einen aufgestellten Sarg hindurchgehen anstatt darin zu liegen.
Dünne Stahlstangen schlängeln sich bei Zuza Golińska durch den Raum, hier und da sind die erratischen Formen zusammengeschweißt, drapiert mit altrosa Stoffbahnen, die mal mehr mal, weniger organische Körper bilden und hier und da vom Stahl wohl verwundet werden, „The Claws of Events“ ist ihre neueste Arbeit und in der berühmten Danziger Werft entstanden.
20. Dorothea von Stetten-Kunstpreis | bis 4.9. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Reise ins Körpergehäuse
Maria Lassnig im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 03/22
Ursachen der kunstvollen Wirkung
„Passierschein in die Zukunft“ im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 12/21
Betörende Melancholie garantiert
Norbert Schwontkowski im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 01/20
Maler unterwegs
„Jetzt!“ im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/19
Früher adelten die Museen Qualität
Mehr als 500 Bilder: „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ – Kunstwandel 11/19
Digital, böse, und etwas flüssig
Der dänische Blick: 18. Dorothea von Stetten Kunstpreis in Bonn – Kunstwandel 09/18
Die Vorstellungen weigern sich
Thomas Scheibitz im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 03/18
Dachlatten und Kaviar
Georg Herold im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/17
Jeder Zyklus hat einen Anfang
Der frühe Gerhard Richter im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/17
Kunstwerke mit Zeitfaktor
Die 16. Videonale im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 03/17
Alle Zeit rastet nicht
Sommerausstellung (in) „EchtZEIT“ im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/16
Der beliebteste Fremdkörper
„TeleGen – Kunst und Fernsehen“ in Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 11/15
Äußerst kostbare Zeiten
Bea Meyer im kjubh Kunstverein – Kunst 05/23
Innenleben der Wirklichkeit
„Ursula – Das bin ich. Na und?“ im Museum Ludwig – kunst & gut 05/23
Eine Tradition des Hasses
„UN|sichtbarer Terror“ im NS DOK – Kunst 04/23
Lichterfüllte, funktionale Orte
Lucinda Devlin mit einer Werkschau in der Photographischen Sammlung – kunst & gut 04/23
Die Überwindung des Blutes
„Unruly Kinships“ in der Temporary Gallery – Kunstwandel 04/23
Unwahrheiten im Netz
„Pizzagate“ in der Fuhrwerkswaage – Kunst 03/23
Ein Star unter den Fotografierten
Max Ernst auf Fotografien in seinem Museum in Brühl – kunst & gut 03/23
Der Baum in uns allen
„Between the Trees“ im MAKK – Kunstwandel 03/23
Gegenwart der Traditionen
„Horizonte“ im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln – kunst & gut 02/23
Die Utopie der Liebe
„Love? Eine Werkstatt“ im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kunstwandel 02/23
Mehr Raum für Kultur
Mouches Volantes am Ebertplatz – Kunst 01/23
Orte abermals zu besuchen
„making being here enough” im Kolumba – kunst & gut 01/23
Welcome to the Shitshow
„Ernsthaft!?“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 01/23