„Alles was ihr hier sehen werdet, ist geübt. Keiner wird sich verletzen“, warnen die Tänzer von „Visitors“, einer Performance von Susanne Grau (MichaelDouglas Kollektiv). Unbehaglich wirken ihre Bewegungen auf den Zuschauer, groteske Verrenkungen und an Selbstverteidigungsübungen erinnernde Duette werden vorgeführt. Mit dem Fokus auf dem konzeptuellen Aspekt des zeitgenössischen Tanzes stellen Susanne Grau und die sie begleitenden drei Tänzer und Tänzerinnen bei ihrer „Guarded Performance Tour“ viele Fragen.
Und sogar wortwörtlich. Während ihrer Performance sprechen die Tänzer miteinander, diskutieren wie sie nun vorgehen – gibt es einen Plan B, was ist eigentlich Plan A? – und obwohl ihren Bewegungen Worte vorangehen, ist der Zuschauer unsicher, überrascht. Es geht um Sicherheitskonzepte, das Spannungsfeld von Einschränkung und Freiheit, das Verhältnis von Autoritätspersonen, Sicherheitspersonal und denen, um deren Sicherheit es sich zu kümmern gilt. Diese Rollen werden auf Performer und Publikum übertragen.
Die Regeln der traditionellen Bühne werden gebrochen. Von orangen Holzstäben, an die von Fluglotsen oder Polizisten erinnernd, werden die Zuschauer durch den Garten der Orangerie geleitet. Sie müssen sich gegenüberstellen, an die Seite stellen, Platz machen und an den Performern vorbeigehen. In dem Bruch der Statik des klassischen Theaters erlernt der Zuschauer ein kleines Stück Autonomie und definiert seine Rolle neu. Er kann nun seine Position und Perspektive auf das Stück selbst entscheiden. Und einfach stehen bleiben, wenn alle anderen Zuschauer weitergehen. Doch war das nicht auch nur geplant, von den Dramaturgen vorhergesehen? Wer macht eigentlich die Regeln? Susanne Graus „Visitor“ ist ein aufregendes Spiel von Machtverhältnissen und Aufmerksamkeit, in dem man als Zuschauer erst am Ende merkt, dass man Teil der Performance ist.
Mit der Dämmerung des Sommerabends verlassen die Zuschauer den Garten und versammeln sich um den quadratischen Tanzteppich im Saal der Orangerie. Hier wird ganz schnell wieder der magische Raum um die Performer herum hergestellt, der den Zuschauer in Erstaunen versetzt und ihn für eine kurze Zeit von der realen Welt löst. „Momentum“ von der CocoonDance Company ist intensiv. Die tiefen Bässe des Techno-Soundtracks dringen in die Körper von Zuschauer und Performer, und während das Publikum unbewusst, auf den Tanz konzentriert, anfängt mitzuwippen, durchziehen die elektrischen Pulse die Körper der Tänzer und lassen sie Höchstleistungen erbringen.
Zunächst liegen Alvaro Esteban, Werner Nigg und András Deri wie raupenähnliche Kreaturen auf dem Boden, der Kopf ist mit einem Tuch verdeckt, und nur die Hände, die aus den Hemden herausragen, erinnern an die Menschlichkeit der Wesen. Vibrierend, wabernd, niemals anhaltend bewegen sie sich über die Bühne, abrupt, immer schneller werdend, an ihre Grenzen gehend und gefährlich nah an die Ränder des Tanzteppichs tretend. Die zunehmende ekstatische Erschöpfung der Tänzer erzeugt das sogenannte Momentum im Raum – ein weniger von Gedanken geleiteter, ein mehr instinktiver Effekt. Der Tanz (Choreografie: Rafaële Giovanola) ist sehr physisch und doch auch minimalistisch, der nicht nur von der Musik (DJ Franco Mento), sondern auch eindrucksvoll vom im Rhythmus pulsierenden Licht (Lichtdesign: Marc Brodeur) begleitet wird.
Zufriedene Veranstalter
„Beide Stücke hatten etwas an sich, dass die Leute ein wenig Angst hatten“, erklärt Silvia Ehnis, Projektleiterin des Katalyst Festivals im Rückblick. „Sie haben sich schon ein bisschen Sorgen um die Performer gemacht.“ Der Doppelabend von Susanne Grau und CocoonDance Company war die letzte Veranstaltung des viertätigen Tanzfestivals in der Orangerie im Volksgarten. „Es ist immer schön, die Reaktionen des Publikums zu beobachten. Für mich als Choreografin und Tänzerin war es besonders spannend zu sehen, wie physische Kommunikation mit dem Zuschauer funktioniert. Und dabei war die Bühnensituation besonders hilfreich. Jeden Tag haben wir die Bühne geändert, jeden Tag war die Orangerie ein anderer Ort.“
Das Festival zeichnet sich durch die spannenden Verbindungen aus, die zwischen Tanz, Musik, Performance und Medien hergestellt werden. „Katalyst – der Name kommt von Katalysator. Es geht darum, verschiedene Dinge zusammenzubringen, und dann entwickelt sich was. Ich habe das wirklich noch nie so bezaubernd erlebt“, erzählt Douglas Bateman, Co-künstlerischer Leiter des Festivals und Mitbegründer des MichaelDouglas Kollektiv, eine Kompagnie für zeitgenössischen Tanz, die Residenz bei ZAIK im Quartier im Hafen hat und welche in dieser Kooperation die Veranstaltung ins Leben gerufen hat.
„Wenn ein Zuschauer für eine Sache gekommen ist, dann wurde er immer mit einer anderen überrascht“, erklärt auch Ehnis: „Wir hatten einen Abend, bei dem es ein Konzert und ein Tanzstück gab. Die Leute, die für das Konzert kamen, wurden damit überrascht, dass sie auch ein Tanzstück sehen konnten oder andersrum. Es wurde die ganze Vielfalt geboten, die es derzeit an zeitgenössischen Tanz gibt.“ 2017 ist das fünfte Jubiläum des Festes: „Die unglaubliche Energie dieses Festivals gefällt mir am meisten. Am meisten hat sich diese am Samstagabend bei dem Battle Street vs. Stage der zeitgenössischen mit den urbanen Tänzern gezeigt“, sagt Bateman. „Das Battle ‚Street vs. Stage‘ ist immer das Highlight des Festivals“, stimmt Silvia Ehnis zu. „Es war voll ausverkauft und wir hatten sogar eine Warteliste. Es hat eine wunderschöne Atmosphäre und wir müssen viel Wert auf sie legen. Diese positive Energie müssen wir verbreiten.“
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