Wer hätte gedacht, dass die stärksten Innovationen im Bereich der darstellenden Künste derzeit ausgerechnet vom Zirkus kommen? War das nicht diese nostalgische Kunstform, die nach feuchten Sägespänen roch und deren aufdringliche Kitsch-Poesie einem schon immer auf den Senkel ging? Von wegen, hier werden die Genderschlachten der Gegenwart unter internationaler Beteiligung ausgefochten. Auch wenn das Festival-Gelände des Circus Dance Festivals an der Schanz im Kölner Norden auch in diesem Jahr perfekte Voraussetzungen für Akrobaten und Künstlerinnen bildet: Gestartet wird am 20. Mai im Herzen der Domstadt. Auf dem Josef-Haubrich-Hof am White Cube des Hauses der Architektur findet die erste von 34 Veranstaltungen des zehntägigen Festivals statt. Drei Artisten-Teams wollen den Platz akrobatisch umdeuten. „Architektur wird in diesem Jahr ein Schwerpunkt des Festivals sein“, erklärt Tim Behren, einer der Kölner Initiatoren, denen wir dieses faszinierende Festival verdanken.
Für Artisten und Jongleure spielen Objekte eine wichtige Rolle, ebenso wie für Architekten. „Wir wollen eine Sensibilität für die Dinge entwickeln“, sagt Behren. Ein bemerkenswerter Ansatz in einem Metier, das sich in der Vergangenheit vor allem mit der Beherrschung der Objekte brüstete. „Statt Macht über die Dinge zu gewinnen, geht es heute um einen Mentalitätswandel. Wie begegnen wir der Umwelt, das ist die Frage, und wie gewinnen wir wieder Demut für die Objekte?“ Das dunkle Erbe des Zirkus als Instrument des Kolonialismus thematisiert das Festival in Diskussionsrunden. Für die Überzeugungskraft neuer Werte steht Elena Zanzu. Seit sie weiß, dass sie trans ist, entfaltete sie ein euphorisches Körperbewusstsein. Zanzu verblüfft mit der klassischen Zirkusdisziplin des Hairhangings. Eine schmerzhafte Angelegenheit, aber Schmerz birgt für Elena Zanzu auch die Chance auf Erkenntnis.
Über das Verhältnis von Menschen und Tieren reflektiert „The DuckShowPerformance“ von Marija Baransauskaitė. Dazu setzt das Publikum zu einer Stadtwanderung an. Lustvolle Momente des Gruselns und Lachens gehören zum Zirkus. In „Mr. Skeleton“ spielt Martin Zimmermann eine Gestalt der Stummfilmwelt, die sich mit teuflischem Genuss den Bosheiten der Slapstickkomik hingibt. Das Circus Dance Festival ist halt für ungeahnte Überraschungen gut.
CircusDanceFestival 2023 | 20.-29.5. | Joseph-Haubrich-Hof, Latibul Theater- & Zirkuspädagogisches Zentrum Köln | www.circus-dance-festival.de
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