Impfen oder nicht impfen – aktueller lässt sich derzeit der Konflikt zwischen Ansprüchen des Subjekts und des Kollektivs kaum formulieren. Wessen Ansprüche wann höher wiegen, das ist die Frage. Regisseur Sebastian Blasius hat Autoren aus Ländern wieJordanien, Brasilien, China oder Burkina Fasobeauftragt, in Stücke des Kanons von Sophokles bis Schiller Chöre hineinzuschreiben. Mit dem Ziel, zu ergründen, was Kollektivität im Theater oder in der Gesellschaft sein könnte. In einem spärlich beleuchteten Raum bewegen sich sieben Perfomer und rezitieren Textausschnitte. Am konkretesten kommt dabei Sophokles weg, dessen „Antigone“ mit einer politischen Friedenspetition türkischer Akademiker überschrieben wird. Schillers „Kabale und Liebe“ wird mit einem Off-Ton-Chat versehen, der die Handlung mal spoilert, mal kommentiert.
Die Performer situieren sich im Raum mit Bezug, Kollektivität aber bleibt eher eine Behauptung – auch, weil das Sprechen bis auf wenige Ausnahmen solistisch ist. Kurioserweise wirkt die an den Schluss angehängte Annäherung an Becketts kurzen Prosatext „Lessness“ (Losigkeit) am triftigsten. Eine alte Frau schleift einen Stuhl in die Mitte, setzt sich und wiegt den Körper vor und zurück. Den wechselnd eintreffenden Performern gibt sie „Lessness“-Losungen mit auf den Weg, was zu einem endlosen Trudeln im Raum führt. Plötzlich stehen Fragen nach Kollektivität und Vereinzelung, nach der Rolle des Willens und der Attribute im Raum. Insgesamt ist das aber doch zu wenig für einen Abend, der sich einem derart drängenden Problem wie dem der Kollektivität verschreibt.
Chöre des Spekulativen | R: Sebastian Blasius | keine weiteren Termine | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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