choices: Herr Löhr, laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sind die Preise für Bauland zwischen 2011 und 2016 um 27 % gestiegen. Was hat diese Entwicklung ausgelöst?
Dirk Löhr: Das ist tatsächlich ein sehr plötzlicher Anstieg gewesen. Zwischen 2000 und 2010 stiegen die Preise sacht, aber nicht dramatisch. Etwa ab 2009, 2010 gingen sie steil nach oben, von 2010 bis 2018 hatten wir eine Steigerung der Kaufwerte von Bauland um 60 Prozent. Das war schon drastisch, obwohl es jetzt auch wieder Anzeichen gibt, dass sich die Entwicklung wieder abschwächt. Ursache hierfür ist meines Erachtens die Zinsentwicklung. Diesen Trend gab es schon lange Zeit vor der aktuellen Notenpolitik, aber seit Mario Draghis „whatever it takes“ und der Flutung der Märkte mit Geld hat sie sich auch auf die Boden- und Immobilienmärkte ausgewirkt. Seitdem ist die Entwicklung abgegangen wie eine Rakete.
Der Bundestag machte 2017 „mangelnde Flächen und fehlendes Baurecht“ für die Verknappung des Wohnraums verantwortlich. Wie ist es dazu gekommen?
Diese Einschätzung ist grundsätzlich richtig, allerdings muss man sagen, dass wir in Deutschland insgesamt gesehen genug Baugebiete haben, das Problem ist nur, dass die an den vollkommen falschen Stellen liegen. Auf dem flachen Land wetteifern die Bürgermeister um die Ausweisung neuer Baugebiete, denn mit jedem Baugebiet, das aufgefüllt werden kann, sind natürlich auch Steuern und Zuweisungen aus dem Gemeinschaftstopf verbunden. Deswegen weist man fleißig Gebiete aus, aber so viele Bürger, die dahin ziehen wollen, gibt es gar nicht. Die ziehen lieber in die großen Städte, vor allem, weil dort in den letzten Jahren die Mehrzahl der attraktiven, gutbezahlten Jobs entstanden ist.
Seit wann gibt es das Bodeneigentumsrecht in seiner gültigen Form?
Also, ganz grundsätzlich haben wir in unserer Rechtsordnung viele Anleihen aus dem römischen Recht und tatsächlich hatte schon das alte Rom Privateigentum am Boden in einer ganz ähnlichen Form, wie wir es heute kennen. Im germanischen Raum gab es dies nicht. Später hatten wir die Feudalphase, auch da war dieses Konzept völlig unbekannt. Erst nach den Stadtgründungen des Mittelalters, ab dem Jahr 1000 herum, entwickelte sich mit dem danach einsetzenden Handelskapitalismus der Gedanke von Eigentum, aber das war ein langsamer Prozess. In den neu gegründeten Städten wurde das Land nicht als Eigentum vergeben, sondern man musste wie beim Erbbaurecht einen gewissen Zins für die Nutzung zahlen. Privateigentum an Boden in der heutigen Form ist eine Erscheinung der Neuzeit.
Sie sprechen von der leistungslosen Bodenrente. Was verstehen Sie darunter?
Man muss einmal überlegen: Wenn ich ein bebautes Grundstück besitze, ist das Haus meine eigene Leistung, in die ich Arbeit und Geld hinein gesteckt habe. Beim Boden aber ist es anders, der Bodenwert entsteht letztlich als Gemeinschaftsleistung – aus Vorleistungen der technischen Infrastruktur, wie Straßen und Stromleitungen und der sozialen Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten. Das muss alles da sein, dann entsteht eine Agglomeration, dann steigt auch der Bodenwert. Wenn man sich die Unterschiede in den Mieten zwischen Köln und einem Dorf im Sauerland ansieht, dann entstehen die Unterschiede in den Quadratmeterpreisen ja nicht aus der Bausubstanz heraus, sondern wegen der Standortvorteile. Diese Vorteile erhält der Eigentümer ohne eigene Leistung – er kann sich hinlegen und schlafen und es bekommt sie dennoch. Eine Marktwirtschaft basiert darauf, dass es eine Kopplung zwischen Nutzen und Kosten gibt. Aber hier haben wir eine Entkopplung: Der Eigentümer hat den Nutzen aus der Gemeinschaftsleistung und die Kosten werden durch den Steuerzahler aufgebracht. Und wer sind hierzulande die Steuerzahler? Das sind vor allem Verbraucher und Arbeitnehmer. Aus den Steuern dieser Gruppen wird ein ganz erheblicher Teil der Infrastrukturmaßnahmen finanziert. Und wenn diese erfolgreich waren, kann man in den großen Städten, die zu etwa 70 bis 80 Prozent aus Mieterhaushalten bestehen, bei den Mieten noch einmal drauflegen, weil diese dann teurer werden. Das Ganze ist eine Umverteilungsmaschine, die noch überhaupt nicht im Bewusstsein angekommen ist, weder in der Bevölkerung, noch in der Politik oder in der Wissenschaft.
Gab es schon früher Bemühungen, leistungsloser Bodenrendite entgegenzuwirken?
Dass dieses Problem früher schon erkannt wurde, zeigt etwa derArtikel 161 der bayerischen Landesverfassung:„Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ Auch Bremen hat einen ähnlichen Artikel in der Landesverfassung – das dürfte alles auf den Artikel 155 in der Weimarer Reichsverfassung zurückgehen, dort gab es eine Vorschrift, die sehr ähnlich lautete. Der Hintergrund dieses Artikels dürfte nicht zuletzt die Bodenreformbewegung gewesen sein, die war von der Gründerzeit über die Weimarer Republik bis hin zum Aufkommen Hitlers groß und aktiv. Diese Ideen und Gedanken sind danach erst wieder in den 1970erJahren aufgenommen worden, etwa durch Hans-Jochen Vogel und die damalige SPD. Aber selbst in der FDP hat man damals entsprechende Gedanken gehegt, sogar in der CSU gab es Sympathie für Dinge wie Planungswertausgleich, das würde heute kein Konservativer mehr so in den Mund nehmen.
Die Grundsteuer wurde 2018 für verfassungswidrig erklärt. Warum?
Es ging vor allem um die sogenannten Einheitswerte für Grundstücke, die für die Erhebung der Steuer als Bemessungsgrundlage dienten. Die stammen in Westdeutschland aus dem Jahr 1964, im Osten sogar noch von 1935, und haben in Niveau und Struktur herzlich wenig mit den heutigen Verkehrswerten zu tun, da sind sie jenseits von Gut und Böse. Mit anderen Worten, das Gericht hat einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gesehen, der besagt, Gleiches muss gleich und Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Die Steuerbelastung war durch die veralteten Einheitswerte jedoch schlicht und einfach nur noch willkürlich, deswegen wurde gesagt, dass das geändert werden muss. Wie der Gesetzgeber das macht, da hat er einen weiten Spielraum, aber bis Ende des Jahres muss ein Gesetz stehen und bis Ende 2024 muss es umgesetzt sein.
Sie treten für eine Bodenwertsteuer ein. Wie funktioniert sie?
Wir setzen uns so für diese Idee ein, weil es letztlich um viel mehr geht, als die 14 Milliarden Euro, die die Grundsteuer den Kommunen einbringt. Im Augenblick besteuern wir vor allem Arbeit, produktive Investitionen und Verbrauch – das ist relativ unvernünftig, vernünftig wäre es, nicht die mobilen Faktoren, sondern vor allem den Boden stärker zu besteuern. Das schreibt die OECD und der IWF Deutschland schon seit vielen Jahren ins Stammbuch: Besteuert doch die Immobilien stärker und nehmt die Steuerlast von den anderen Faktoren, das ist schädlich, so wie ihr das macht. Die Idee der Bodenwertsteuer besteht darin, allein den Boden zu besteuern und nicht das darauf stehende Gebäude. Denn in dem Augenblick, in dem wir dieses besteuern, entstehen neue Knappheiten: Der Vermieter kann dann sagen, je nachdem wie hoch die Steuer ist: Ok, meine Rendite fällt nun knapper aus, dann tue ich jetzt auch nichts mehr. Dann werden Modernisierungen, Aufstockungen und ähnliches unterlassen. Wenn das jeder Vermieter so macht, tritt weitere Verknappung ein und die Mieten steigen weiter. Wird aber nur der Boden besteuert, wird Wohnraum nicht steuerlich belastet. Zudem wird eine Fläche, die nicht bebaut ist, genauso besteuert wie eine bebaute. Der Boden wird also in eine Nutzung getrieben; ich kann es mir dann nicht mehr leisten, eine Fläche unbebaut zu lassen, denn dies würde nur Kosten verursachen. Diese Steuer wäre einfach zu implementieren, denn die Bodenwerte liegen über das Gutachterausschusswesen schon flächendeckend vor, im Grunde muss nur der Steuersatz oben drauf und fertig. Die Steuer wäre denkbar einfach zu administrieren, deutlich einfacher als alle anderen Varianten, die in der Diskussion sind. Sie ist ökologisch vorteilhaft, denn wenn ich auf einer Bodenfläche ein mehrgeschossiges Haus stehen habe, verteilt sich die Steuer auf eine viel größerer Zahl von Einheiten, was die einzelne Einheit entsprechend belastet und ein kompaktes Bauen und Siedeln fördert. Auch ökonomisch gibt es keine bessere Steuer, eine Vielzahl von Wirtschaftswissenschaftlern spricht sich für diese aus, darunter mindestens zehn Nobelpreisträger, denn die Bodenwertsteuer schöpft die Bodenerträge zugunsten der Gemeinschaft ab. Insoweit kann man auf die schädlichen herkömmlichen Steuern verzichten. Der amerikanische Bodenreformer Henry George ging sogar so weit, dass er sagte, wir können alle anderen Steuern abschaffen und alles mit einer Bodensteuer finanzieren. Das klingt zunächst verrückt, aber das ist es nicht. Es gibt Staaten und Städte, die das bereits so oder so ähnlich machen, Singapur etwa. So ist z.B. der frühere Weltbank-Chefökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, ebenfalls der Meinung, dass man durchaus in diese Richtung denken kann und sollte. Aber in Deutschland ist die Diskussion leider so noch nicht angekommen.
Gibt es konkurrierende Vorschläge?
Es gibt natürlich Gegenargumente und die sind erheblich, kommen aber vor allem von interessierter Seite, sprich der Immobilienwirtschaft und Politikern, die sich wissentlich oder unwissentlich zu Erfüllungsgehilfen der Immobilienwirtschaft machen. Die FDP-Fraktion des Bundestages hat beispielsweise einen entsprechenden Vorschlag in den Finanzausschuss des Bundestages eingebracht. Dabei geht es um ein „Einfach-Flächenmodell“, das die nur Gebäudeflächen und die Wohnflächen berücksichtigt, aber keinen Wert. Aber Gebäudeflächen muss man erst einmal ausmessen, das ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Man denke etwa an Dachschrägen mit unterschiedlicher Neigung, unterkellerte Räume mit unterschiedlichen Höhen, oder ähnliches. Wenn ich nur nach der Fläche besteuere, dann hat bei gleicher Fläche ein Haus in Kölns Zentrum die gleiche Belastung wie eines in einem Brennpunkt-Viertel. Das kann eigentlich nicht sein, das widerspricht meines Erachtens dem Leistungsfähigkeitsprinzip der Besteuerung beziehungsweise dem Gleichheitsgrundsatz.
Im Oktober hat der Bundestag eine Reform verabschiedet. Ihre Meinung dazu?
Ich war ja bei der Sachverständigenanhörung im Finanzausschuss des Bundestages als Sachverständiger geladen und habe dort bereits eine Stellungnahme abgegeben. Das Bundesmodell ist zunächst mal eine verbundene Steuer, sie steuert den Wert von Grund und Boden, sowie von Gebäuden. Dazu hat der Nobelpreisträger William Vickrey mal gesagt, das ist die Zusammenfassung von zwei Steuern: Der besten, nämlich der Steuer auf den Bodenwert, und einer der schädlichsten, nämlich der auf den Gebäudewert. Das hat man nicht herausbekommen, weil vor allem die SPD sich in Richtung einer Sondervermögenssteuer bewegen wollte und dabei Deckung von Linken und Grünen bekommen hat. Über eine Vermögensteuer kann man sich ja unterhalten, aber die Grund- und die Vermögenssteuer sollte man dennoch auseinander halten. Das Entscheidende aber ist: Mit den Bewertungsregeln, die man jetzt gefunden hat, vor allem denjenigen für Wohngebäude, hat man faktisch einen Kompromiss geschlossen, der den Befürwortern der Flächensteuer, die sozusagen alles über einen Kamm scheren wollen, entgegenkommt. Da orientiert man sich nämlich an gemeindetypischen Durchschnittsmieten, dass heißt, wenn sie sich in einer Spitzenlage in Köln befinden, wird die gleiche Durchschnittsmiete angesetzt, wie in einem sozialen Brennpunkt. Mit anderen Worten, Immobilien in einer sehr guten Lage werden systematisch unterbewertet und in schlechten Lagen systematisch überbewertet. Das ist genau das, was die Verfassungsrichter nicht wollten. Mein Kollegin Frau Hey von der Universität zu Köln, die die Reform ebenfalls als Sachverständige kommentiert hat, hat das in der Anhörung noch pointierter ausgedrückt als ich. Wenn das nicht noch einmal geändert wird, gibt es ein Wiedersehen in Karlsruhe.
Hat die Bodenwertsteuer noch eine Chance?
Positiv an der Reform, die durch den Bundestag gegangen ist und nun durch den Bundesrat geht, ist, dass sie eine Öffnungsklausel für die Länder vorsieht, die ihnen die Möglichkeit gibt, abweichende steuerliche Regelungen einzuführen. Das heißt, ein Land wie NRW könnte sich komplett vom Bundesmodell lösen und eine eigene Grundsteuer einführen. In diesem Kontext wäre es durchaus möglich, dass sich die Länder 2025 wieder dafür entscheiden, eine Bodenwertsteuer einzuführen. Allerdings muss man auch sehen, dass es bei einigen Länderregierungen eher Sympathien für das Flächenmodell gibt. Beispielsweise möchte Bayern eine reine Flächensteuer einführen. Es gibt aber in einigen Bundesländern eine gewisse Offenheit für eine Bodenwertsteuer. Wir, von der Initiative Grundsteuer: Zeitgemäß!, die sich für eine Bodensteuer einsetzt, hatten darüber schon kürzlich eine Diskussion mit der Finanzministerin von Schleswig-Holstein, Monika Heinold, von den Grünen. Wir werden aber auch mit anderen sprechen und sehen, bei wem Bereitschaft besteht. Ich halte es für ganz wichtig, dass Druck durch die Zivilgesellschaft gemacht wird, ansonsten ist es nur die Lobby der Immobilienwirtschaft, die der Politik einflüstert, und dann neigt man eben dem Flächenmodell zu. Das ist ja gerade das Modell der Immobilienwirtschaft, in guter Lage zu sein und die Bodenerträge abzuschöpfen und nichts dafür zu tun. Und wenn es niemanden gibt, der den Politikern zu etwas Anderem rät, dann kommt es zu solchen Modellen. Von daher ist es sehr wichtig, dass die Zivilgesellschaft tätig wird.
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