Das Land Berlin hat die Zeichen der Zeit erkannt. Mit dem Mietendeckel zieht die rot-rot-grüne Landesregierung der Spekulation mit Immobilien vorerst den Stecker. Damit bekommen Mieter in der Bundeshauptstadt eine Atempause vor den sich rasant entwickelnden Mieten. Die Entscheidung ist vernünftig, gerecht, politisch notwendig und sicherlich erfolgversprechender, als die Mietpreisbremse der Bundesregierung. Das Herzensprojekt der SPD ist ein zahnloser Papiertiger.
Fairerweise muss aber auch festgestellt werden, dass auch der Berliner Mietendeckel das noch viel grundlegendere Übel der Spekulation mit Liegenschaften in den sich rasant entwickelnden Städten nicht bei der Wurzel packt. Die Probleme beginnen beim Zugang zu Grund und Boden – eine Erkenntnis, die vielen Politikern offensichtlich noch nicht klar ist.
Aber wie machen die das? Wie kommt es, dass Grundstücke in Ballungsräumen und Metropolen ihren Wert innerhalb kurzer Zeit vervielfachen können? Um es kurz zu machen: An einer irgendwie gearteten Leistung der Investoren liegt es nicht. Dass die großen Städte viele Menschen anziehen, die dann Wohnungen auf hart umkämpften Wohnungsmärkten suchen oder kaum vorhandenes Bauland nachfragen, dazu tragen die Investoren nichts bei. Sie sorgen auch nicht dafür, dass es in ihrem Quartier sauber, sicher und lebenswert ist, dass es Schulen, Cafés und Ärzte gibt, dass Theater Schwimmbäder und Sporthallen die Lebensqualität steigern. Aber all das bildet den Wert der Liegenschaften, mit denen die Spekulanten Profite machen. Wenn zum Beispiel aus einer Brachfläche ums Eck mit Steuergeldern ein schöner Park wird, dann schnellt der Preis für die anliegenden Grundstücke sofort nach oben, ohne dass deren Besitzer auch nur einen Finger gekrümmt haben. Ökonomen nennen das „leistungslose Leistung“. Es handelt sich um eine Leistung, die sich lohnt, ohne dass sie erbracht worden ist.
Grundsätzlich ist aber eine Leistung erbracht worden, nur eben von der Allgemeinheit, den Steuerzahlern, die den neuen Park ebenso finanzieren, wie die Straßen, den Nahverkehr, die Schulen, die Kitas und Theater und so weiter. Doch von der Bodenwertsteigerung haben sie nichts. Viel schlimmer noch, die Allgemeinheit wird sogar bestraft. Neben den Schulen, Kitas und so weiter muss sie nämlich auch noch für Wohngeld und weitere soziale Maßnahmen aufkommen, die ja nur deshalb anfallen, weil die Mieten für eine wachsende Zahl von Menschen immer unerschwinglicher werden. Gut, werden jetzt viele sagen, von den Gewinnen müssen die Spekulanten ja auch Steuern zahlen. Weit gefehlt, und das ist die Spitze der Perversion: Spekulanten zahlen keine Steuern auf ihre Spekulationsgewinne, wenn sie nur lange genug die Füße stillhalten und die Spekulationsfrist von zehn Jahren verstreichen lassen. Ist das nicht irre?
Wie es anders gehen kann, zeigt Ulm. Die Stadt im Schwabenland ist alles andere als eine kommunistische Hochburg. Dennoch werden dort seit 125 Jahren Bodenspekulanten vor die Tür gesetzt. „Bodenbevorratungspolitik“ nennt sich das Zauberwort. In Ulm kann nämlich nur von der Stadt selbst Bauland erworben werden. Zudem verhindert das Ulmer Wiederkaufsrecht etwaige Spekulationen mit Bauland. Das profitable Weiterverscherbeln an Dritte ist den Spekulanten hier verbaut.
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