Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Straßenbahnhaltestelle als Plastik

11. August 2021

„Beuys-Lehmbruck“ in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 08/21

Am Anfang steht der „Emporsteigende Jüngling“ (1915) von Wilhelm Lehmbruck, dahinter hängt Joseph Beuys´ „Mensch“ auf Tafellackschwarzer Pressspanplatte aus den späten 1960ern. Das Telefon mit den Anschlusskabeln übersieht man schnell, rund um die Ecke und der Raum öffnet sich in den anthroposophischen Kosmos ursprünglicher Prägung. Den Raum beherrschen die Devotionalien der „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, die Beuys 1977 auf DER documenta 6 (Manfred Schneckenburger) aufgebaut hatte. Rauf und runter pumpte die (analoge!) Technik damals 150 kg Honig durch ein Schlauchsystem zwischen den Stockwerken im Fridericianum, daneben rotierte eine Kupferwelle auf 100 kg Margarine. Zu dieser (auch riechenden) Schönheit gehörte der Meister selbst, der dort besonders gerne mit konsternierten Besuchern diskutierte. Es war ein Fest der leidenschaftlichen Vermittlung von Kunst und Leben. Jetzt liegen die Mechaniken in der Bonner Bundeskunsthalle geruchslos als Installation, Beuys kommt vom Band, er selbst doziert überdimensional auf der Leinwand. Vorlesungsfetzen wehen durch den Raum: „von der Plastik zur sozialen Plastik“, „die Notwendigkeit der direkten Demokratie“… Plakate, Multiples, alles da, der Professor fehlt aber nach 35 Jahren immer noch, weltweite Aufmerksamkeit zum 100. Geburtstag, geschenkt.

Es ist alles da, der multiple Filzanzug, die dokumentierten 7000 Eichen von Kassel (sogar ein Baum samt Basaltstele im Atrium), das filzige Cello und an der Holzwand „Großer aufgesogener Liegender im Jenseits wollend Gestreckter“ von 1982. Man könnte es auch ein Liegestuhl mit Filzauflage nennen, es bleibt eines meiner späten Lieblingsobjekte, dazu noch die kleine bronzene „Badewanne für eine Heldin“ (1950/61/84) mit „antikem“ Tauchsieder. Das Highlight in Bonn ist das in Deutschland selten gezeigte „Voglio vedere le mie montagne“. „Ich möchte meine Berge sehen“, soll der Maler Giovanni Segantini (1858-1899) auf dem Sterbebett gesagt haben. Joseph Beuys hat 1971 dem Hochgebirgs-Pleinair-Meister seine Reverenz erwiesen und seine erste raumfüllende Installation mit Schrank, Bett, Gewehr und drei Kupferplatten geschaffen, die durch Kreideschrift in ihrer Bedeutung aufgeladen sind. Aber wieso da immer ein scheinbar leeres Einweckglas rumsteht? Findet es raus. 

Beuys-Lehmbruck. Denken ist Plastik | bis 1.11. | Bundeskunsthalle, Bonn | 0228 917 10

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Besondere Architektur
Kengo Kuma in Bonn

Ein Teil des „Wir“
Diskussion in der Bundeskunsthalle – Spezial 08/23

Arbeitsstreik und Lebensdichtung
„Her mit dem guten Leben!“ in der BKH Bonn – Spezial 0623

Welcome to the Shitshow
„Ernsthaft!?“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 01/23

Visuelles Gesamtkunstwerk
Die Oper als Ausstellungsobjekt in Bonn – Kunstwandel 11/22

Bunt ist oft nicht unpolitisch
„Farbe ist Programm (Teil 1)“ in der BKH Bonn – Kunstwandel 06/22

Eine Ikone des Feminismus
Simone de Beauvoir-Ausstellung in der BKH Bonn – Kunstwandel 04/22

Im Rausch der Bilder
Bundeskunsthalle Bonn: „Methode Rainer Werner Fassbinder“ – Kunstwandel 11/21

Dreireiher versus Jogginghose
Dress Code in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 07/21

In Zeitlupe durch brennende Wälder
Julius von Bismarck in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 10/20

Immer gegen Konventionen
Zeitreise der Doppelbegabungen in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 08/20

Ausbeutung für die Verschwendung
„Wir Kapitalisten“ in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 06/20

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!