„Home is where the heart is, home is so remote / Home is just emotion sticking in my throat“, sang Lene Lovich vor mehr als 30 Jahren.Fast genauso lange arbeitet der Künstler Gregor Schneider an der Umgestaltung eines geerbten Wohnhauses in Mönchengladbach-Rheydt, dem Haus „u r“. Ein Lebensprojekt, bei dem er neue Räume in bereits bestehende einbaut oder auch Zimmer einfach in Bewegung setzt. Manchmal führen Türen unversehens vor eine nackte Wand, ein Fenster öffnet sich zu einem weiteren Fenster. Manchmal wehen unversehens Gardinen, es gibt steile Leitern, enge Korridore – so berichten jedenfalls Menschen, die das originale Haus u r besuchen durften. Schneider spielt mit der Wahrnehmung, inszeniert Erwartungen und erzeugt Atmosphären – indem er bereits gebaute Räume einem fortwährenden Rebuildung unterzieht. Extrakte des Hauses u r waren schon bei Kunstausstellungen zu sehen, bevor 2001 die Biennale in Venedig kurzzeitig als Dependance des Rheydter Originals fungierte. Das Schauspiel Köln hat ihm nun offenbar Carte blanche gegeben für eine Installation seiner Psychobauwerke in der Halle Kalk.
Das Zuhause kann aber auch von außen bedroht, kann Ziel eines Anschlags werden. Im Juni jährt sich der Nagelbombenanschlag der NSU in der Keupstraße in Köln-Mülheim zum zehnten Mal. Was diese Explosion an Misstrauen, an Verdächtigungen und haltlosen Vermutungen hervorgerufen hat, sorgt noch heute für Kopfschütteln. Die Ermittlungspannen, die nach der Zerschlagung des rechtsradikalen Terrortrios, also dem Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt sowie der Anklage gegen Beate Zschäpe, ans Tageslicht kamen, sind haarsträubend. Welche Wunden das Attentat vor allem unter der türkischstämmigen Bevölkerung hinterlassen hat, das untersucht der Regisseur Nuran David Calis mit seiner theatralischen Recherche „Die Lücke“, bei der Bewohner der Keupstraße nicht nur Auskunft geben, sondern auch mitwirken werden.
Wer es schließlich zuhause nicht mehr aushält, der kann im äußersten Fall auch Krieg führen. Die Kölner Gruppen Brachland Ensemble und Nö Theater machen mit ihrem Stück „P.R.O.P.A.G.A.N.D.A.“ Ernst. Anstatt ein bereits bestehendes Kriegsstück zu inszenieren, ziehen sie gegeneinander in die Schlacht. Ursprünglich war geplant, sich nicht nur in Schützengräben zu legen, sondern man wollte schon im Vorfeld bei den Proben, Störscharmützel fahren, wollte Presse- und Verleumdungskampagnen lancieren. Davon ist man abgerückt zugunsten eines theatralen Stellungskriegs. Wir freuen uns schon auf das Trommelfeuer aus Pointen, auf verängstigende Verdunkelungsstrategien in der Orangerie oder verlustreiche gereimte Scheinangriffe. Dass der Abend in der Orangerie stattfindet, hat vermutlich einen tieferen Grund: Unter dem Gebäude, in dem heute Theater gespielt wird, befand sich früher das Pulvermagazin der Lünette 3 des preußischen Festungsgürtels. Für Authentizität ist also gesorgt.
Gregor Schneider I Konzept: Gregor Schneider I Premiere: 6.6. I Schauspiel Köln/Halle Kalk I 0221 221 28400
„Die Lücke“IR: Nuran David CalisIPremiere: 7.6.ISchauspiel Köln/Depot 2 I 0221 221 28400
„P.R.O.P.A.G.A.N.D.A.“IR:Brachland Ensemble, Nö Theater IPremiere:29.5. I Orangerie I 0221 952 27 08
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