Mit gesenktem Kopf steht Sophie inmitten der großen Halle: „Können wir nochmal anfangen? Das Licht brummt so laut.“ Für ihre Performance muss sie sich voll konzentrieren. Sie allein steht auf der Bühne. Trotz der tropischen Temperaturen des Sommers ist sie an diesem Probennachmittag voller Energie, zuckt, murmelt, schreit, trommelt mit den Fäusten gegen die Wand. Thalia beobachtet Sophie genau – wie wirkt die Performance heute? „Ich bin jedes Mal gespannt und manchmal überrascht“, erzählt sie später, kleinste Nuancen von Sophies Stimmung spüre sie.
Sophie und Thalia Killer sind Schwestern und sie bilden das Künstlerinnenduo Killer&Killer. Seit 2015 entwickeln sie gemeinsam Theaterstücke und gewannen im Juli 2018 den KunstSalon-Theaterpreis für ihr Stück „Der Prozess“, eine Adaption und Eigeninterpretation von Kafkas Roman: Ein Bankangestellter wird grundlos verhaftet und grübelt über seine mögliche Schuld. Ihr erstes gemeinsames Bühnenstück „Einer tanzt aus der Reihe“ wurde 2015 bereits mit dem Folkwang Preis ausgezeichnet.
Ihre Stücke sind auf das Körperliche fokussierte Performances irgendwo zwischen Tanz und Sprechtheater. „Man muss nicht immer alles in Kategorien stecken“, sind beide überzeugt. Sie wollen sich immer weiterentwickeln, ohne sich Grenzen zu setzen. So wagen sie auch in ihrem neuen Stück etwas Neues: „Es ist für mich ganz neu, auch mal still zu sein auf der Bühne und das auszuhalten“ sagt Sophie.
Von alltäglichen Gefühlen und großen Fragen
Mit ihren Themen berühren sie die alltägliche Gefühlswelt ebenso wie die ganz großen gesellschaftlichen Fragen: Es geht um Einsamkeit und Liebe, Schuld und Zukunftsutopie. Die Themen entstehen im Dialog und sind immer auch durch persönliche Erfahrungen beider Schwestern geprägt.
Als ausgebildete Schauspielerin steht Sophie in ihren Stücken oft selbst auf der Bühne. Gemeinsam mit Thalia entwickelt sie im kreativen, improvisierten Prozess die Dramaturgie und Choreografie. An der Folkwang Akademie lernte sie Schauspiel, in Berlin Tanz, von dem Magazin „tanz – Zeitschrift für Ballet, Tanz und Performance“ wurde sie zu den Hoffnungsträgerinnen 2018 gekürt. Thalia, die in Pforzheim Schmuck- und Objektdesign studiert hat, kümmert sich außerdem um Bühnenbild, Kostüm, Licht, Werbung und Kommunikation. Für beide ist das perfekte Teamarbeit: „Wir sind einfach voll auf einer Wellenlänge.“ Das merkt man sofort, wenn man sie kennenlernt – erzählen sie von ihren Projekten, glänzen ihre Augen.
In Köln, wo Sophie lebt und beide hauptsächlich arbeiten und proben, fühlen sie sich künstlerisch zu Hause. Sie arbeiten im Barnes Crossing, einem Theaterstudio im Industriegebiet Michaelshoven, im tiefsten Kölner Süden. Hinter Fabrikgebäuden versteckt sich hier die Wachsfabrik, eine kreative Keimzelle mit Galerien, Theaterräumen und Künstlercafés.
Anders als in Berlin, wo durch das kulturelle Überangebot Ablenkung, Sättigung und Gleichgültigkeit entstehen könne, erlebten sie in Köln mehr Verbindlichkeit und unterstützende Netzwerke, erzählen sie. In ihren eigenen Stücken arbeiten sie teilweise mit anderen Schauspielern zusammen. Sophie spielt hin und wieder auch in anderen Theaterprojekten mit, Thalia verkauft weiter selbst entworfenen Schmuck in Berlin. „Aber Killer&Killer hat immer Vorrang“, da sind sie sich einig.
Zwischen virtueller Realität, Realität und Tagtraum
Neben der künstlerischen Arbeit muss sich Sophie auch mit organisatorischem Dingen wie Förderanträgen beschäftigen: „Ich wurde im Studium zwar eigenständig ausgebildet, aber das habe ich nicht gelernt.“ Durch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern konnte sie das fehlende Wissen jedoch schnell nachholen.
Zurzeit proben sie den ersten Teil ihres neuen Stückes „die mit den Augen atmen“. Es geht um das Spannungsverhältnis zwischen virtueller Realität, Realität und Tagtraum: Kann man der Realität entfliehen? Warum hat man das Bedürfnis ihr zu entfliehen? Und was hat das für eine Auswirkung auf den Menschen? Erstmals wird Thalia auch eine Videoinstillation für das Stück erarbeiten.
Sophie und Thalia proben an diesem Abend noch weiter, am nächsten Tag wollen die beiden den ersten Teil Freunden und Familie präsentieren.
„die mit den Augen atmen“ | 8. - 10.2.19 | TanzFaktur | killerundkiller.com
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
An der Grenze von Ernst und Komik
boy:band und Studiobühne Köln: „Clowns“ – Prolog 06/23
Ausgerechnet der Zirkus
Circus Dance Festival in Köln – Festival 05/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Dialoge der Körper
SoloDuo Tanzfestival in Köln – Tanz in NRW 05/23
Über den Augenblick hinaus
Jahresausstellung im Tanzarchiv
Das überraschende Moment
Bühnenbildner miegL und seine Handschrift – Tanz in NRW 04/23
Tanz der toten Emotionen
„Service und Gefühl“, TanzFaktur
Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23
Akustischer Raum für den Tanz
Jörg Ritzenhoff verändert die Tanzwahrnehmung – Tanz in NRW 02/23
Kann KI Kunst?
Experimente von Choreografin Julia Riera – Tanz in NRW 01/23
„Eine Mordsgaudi für das Publikum“
Festival fünfzehnminuten in der TanzFaktur – Premiere 01/23
Wie geht es weiter?
Mechtild Tellmann schaut auf Zukunft des Tanzes – Tanz in NRW 12/22
„Das Theater muss sich komplexen Themen stellen“
Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival 2023 – Interview 06/23
„Grenzen überschreiten und andere Communities ins Theater holen“
Sarah Lorenz und Hanna Koller über das Festival Britney X am Schauspiel Köln – Premiere 06/23
Frauen und Krieg
„Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 06/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23
Für mehr Sichtbarkeit
„Alias“ am Orangerie Theater – Prolog 05/23
„Ich sehe mich als Bindeglied zwischen den Generationen“
Melane Nkounkolo über ihre Arbeit als Aktivistin und Künstlerin – Bühne 05/23
„Die Innovationskraft des afrikanischen Kontinents hervorheben“
Martina Gockel-Frank und Dr. Clemens Greiner über die „European Conference on African Studies“ – Interview 05/23
„Wir können in Köln viel bewegen“
African Futures-Projektleiterin Glenda Obermuller – Interview 05/23
Neues Bild von Afrika
African Futures Cologne 2023 bietet ein reichhaltiges Programm – Prolog 05/23
Bedrohliche Fürsorge
„(S)Caring“ an der Studiobühne Köln – Auftritt 05/23