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Daniel Schüßler
Foto: Pramudiya

„Mehr Empathie kann uns nützen“

17. März 2022

Daniel Schüßler über „Camping Paraíso**“ – Premiere 03/22

Der Comedy-Autor Dirk Roß wird zum Hauptdarsteller im Drama „Camping Paraíso** – Über das (Sterben) Leben“. Roß fiel im Frühjahr 2020 nach einem Verkehrsunfall ins Koma und schwebte wochenlang zwischen Leben und Tod. Das Analogtheater erzählt nun die Geschichte aus der Perspektive einer Zwischenwelt. choices sprach mit Regisseur Daniel Schüßler über Parallel-Räume, lebenserhaltende Maßnahmen, Endlichkeit, Vertrauen und Humor.

choices: Herr Schüßler, wo ist Paraíso?

Daniel Schüßler: Es gibt mehrere Ebenen, wo Paraíso sein kann. Wir landen mit unserem Protagonisten Dirk an verschiedenen Orten der Erinnerung, unter anderem auf einem Campingplatz aus seiner Jugend. Dieses Stück spielt mit der Frage „Wo geht man eigentlich hin, wenn es um Leben oder Tod geht?“. Ist es vielleicht ein konkreter Ort, zu dem man gelangen muss, wenn man wieder zu Bewusstsein kommt, weil er so viel Bedeutung für das eigene Leben hat? Das Ganze bleibt offen.

Was bedeuten die zwei Sterne im Titel?

Das ist der Campingplatz, der nur zwei Sterne hat. Es ist ein schrabbliger Ort an der Costa Brava in Spanien, wo es fettige Chorizos (grobkörnige Rohwurst, Anm. d. Verf.) gibt. Man sitzt dort mit anderen Menschen, die Probleme haben, am Strand und hängt ab – für immer.

Der Untertitel lautet „Über das Sterben“. Mitten in Europa herrscht in der Ukraine bereits seit 2014 Krieg. Auch die Corona-Pandemie hat uns seit über zwei Jahren mit ihren dramatischen Auswirkungen fest im Griff. Haben diese Ereignisse Einfluss auf das ursprüngliche Stück oder die Stückentwicklung gehabt?

Nein. Sie haben aber auf den Titel Auswirkungen gehabt. Wir haben das gerade unbenannt in „ … Über das Leben“, weil wir es zu zynisch fanden. Wir leben in einer Zeit, in der gerade jeden Tag Menschen ihr Leben verlieren.

Wie ist der Kontakt zum Essener Comedy-Autor Dirk Roß entstanden, der nach besagtem Unfall schwer verletzt wurde?

Unsere Theaterleiterin Dorothea Förtsch hat Dirk vor ein paar Jahren kennengelernt. Wir haben auf Facebook immer seine lustigen Posts verfolgt. Irgendwann wurde es jedoch still. Nach ein paar Monaten kam dann die erste Nachricht wieder, die im larmoyanten Ton diesen Unfall schilderte. Wir haben ihn irgendwann gefragt, ob er der Autor seiner eigenen Story sein wollte. Davon war er begeistert. Wir trafen uns dann zu mehreren Interviews. Er wirkt auch in dem Film mit, der letztes Jahr entstanden ist.

Wie geht es ihm jetzt?

Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Das Trauma bleibt jedoch bestehen. Durch die Schuld des Autofahrers bleibt ja auch eine Wut zurück, die die Psyche belastet. Aber Dirk ist ein extrem lebensbejahender Typ, der sich seinen Humor behalten hat und kämpft.

Hatte Dirk Einfluss auf das Stück?

Nein. Er hatte ein großes Vertrauen in unsere Arbeit und dieses Vertrauen beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich glaube, ihn hat es berührt zu sehen, wie er wahrgenommen wird. Er wusste, dass wir mit der nötigen mit Leichtigkeit und Respektlosigkeit an dieses Stück gehen, damit es nicht zu einer Trauergeschichte verfällt.

Der Mensch ist endlich. Es ist sozusagen seine Natur. Kann man mit dem Sterben natürlicher umgehen?

Das weiß ich nicht. Diese Frage stelle ich mir auch. Man schiebt das eigene Ableben weit weg von sich. Das Sterben ist in der westlichen Welt ziemlich industrialisiert worden. Man verbringt die letzten Tage, Wochen, Monate oftmals auf einer Intensiv- oder Palliativstation. Schön ist das sicherlich nicht. Mitunter wird das Leben auch durch medizinische Dinge aufrechterhalten, obwohl es keine Chance auf eine Genesung gibt. Die Zeit könnte man vielleicht für schönere Sachen nutzen, anstatt die 35. Chemotherapie über sich ergehen zu lassen und durch die Gegend zu kotzen und sich scheiße zu fühlen, um dafür drei weitere Wochen zu gewinnen.

Was haben Sie im Zuge der Entstehung des Stücks gelernt?

Was ich begriffen habe, ist, mit welcher Lebensfreude man ins Leben zurückkommen kann. Ich würde mir wünschen, dass ich davon etwas mitnehmen könnte, wenn ich in eine ähnliche Situation käme. Was man lernt, ist, dass so viel mehr in einem Menschen steckt, als man an der Oberfläche sieht. Ich habe das Gefühl, dass eine spezielle Geschichte wie diese einen selbst empathischer machen kann. Aber auch in Bezug auf andere Themen, beispielsweise die Flüchtlingskatastrophen, kann uns mehr Empathie als Gesellschaft sicherlich nützen, wenn wir uns etwa die Geschichten der Leute anhören.

Wie wichtig war der Bezug zum Medium Film während der Arbeit an „Camping Paraíso**“? Sie heben die Schnittstelle in der Ankündigung hervor.

Das hat ganz praktische Gründe. Unser Koproduktionspartner, die Studiobühne Köln, hat aufgrund von Brandschutzbestimmungen geschlossen. Es gab auch im letzten Jahr wegen Corona keine Interimsspielstätte. Durch diese ständigen Aufschiebungen haben wir mit dem Filmemacher Thomas Vella zusammengearbeitet. Wir haben auch in der Vergangenheit schon filmische Elemente genutzt und uns aufgrund einer fehlenden Bühne dazu entschieden, dies wieder zu machen. Der Film erweitert unsere Perspektive um weitere Orte, an denen sich Dirk befindet. Konkret sind das der Strand und ein schwarzer Raum. Der dritte Raum ist vielleicht der Text. Aber jetzt erfolgt ja endlich unsere Bühnenpremiere in der Orangerie. Dort kommen noch drei Leinwände zum Einsatz.

Der Performance liegen Interviews mit Dirk Roß zugrunde. Daraus entstanden, ich zitiere, „Szenische, choreographische und musikalische Unruhe- und Zwischenwelt-Arrangements“. Wie kann man sich das vorstellen?

Am besten, indem man ins Stück kommt und sich ein Bild davon macht. Wir wollten der kritischen Situation des Lähmungszustands des Komapatienten sowohl einen Raum einrichten und sie sichtbar machen, als auch musikalisch einen Klang geben.

Apropos Orangerie: Haben Sie dieses Theater bewusst für die Darbietung ausgesucht?

Wir brauchen immer viel Platz für unsere Produktionen. Ich habe früher schon viel in der Orangerie inszeniert. Das passt ganz gut, auch mit dem paradiesischen Garten außerhalb des Gebäudes. Es herrschte übrigens ein großes kollektives Zusammenspiel. Ich sitze jetzt hier zwar alleine in dem Interview, aber wir hatten Komponisten, Filmemacher, Schauspieler und zahlreiche andere Personen, die eine Realisierung dieses Projekts erst ermöglichten.

Die Thematik erscheint zeitlos. Soll das Stück auch Jugendliche oder Kinder ansprechen?

Jugendliche kann ich mir auf jeden Fall vorstellen. Vielleicht wäre es Kindern zu düster. Aber Dirks Humor hilft enorm, diese schwierige Thematik zu tragen. 

Camping Paraíso** – Über das (Sterben) Leben | R.: Daniel Schüßler | 23. (UA), 24., 25., 26.3. 20 Uhr, 27.3. 18 Uhr | Analog Theater im Orangerie Theater Köln | www.orangerie-theater.de

Interview: Thomas Dahl

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