Wer eine zweite Chance bekommt, sollte sie nicht vermasseln. Schon gar nicht, wenn er dafür nochmal auf die Erde darf. Liliom allerdings packt’s auch diesmal nicht. Als er nach 16 Jahren Fegefeuer zu Frau und Tochter zurückkehrt, schlägt er wieder um sich, obwohl doch Julie die Liebe seines Lebens ist. Ferenc Molnárs Moritat „Liliom“ von 1909 ist ein Schmachtfetzen allerfeinster Sorte: Sozialdrama, Märchen und Tragödienkitsch in einem und 1930 in Hollywood von Frank Borzage verfilmt. Liliom ist ein Macho, Frauenheld und Platzhirsch auf dem Jahrmarkt. Er verliebt sich in das Dienstmädchen Julie. Beide verlieren ihre Stelle. Als Julie zudem schwanger wird, rastet Liliom aus. Er ist überfordert, prügelt seine große Liebe, versucht, trotzdem Verantwortung für die kleine Familie zu übernehmen. Er lässt sich zu einem Überfall überreden, der allerdings aus dem Ruder läuft und in einem Raubmord endet. Liliom begeht aus Scham über sein Versagen Selbstmord – und bekommt besagte zweite Chance. Keine einfache Aufgabe für Regisseur Sascha Hawemann und Hauptdarsteller Holger Kraft, dieses dramatische Chamäleon mit hohem Sentimentalitätsfaktor auf die Bühne des Bonner des Theaters zu bringen.
Der Autor und Filmemacher Rainer Werner Fassbinder hat nicht nur „Liliom“ 1972 in Bochum inszeniert, sondern solche kleinbürgerlichen Existenzen immer wieder auf Bühne und Leinwand gebracht. Bereits mit 19 Jahren verfasste er das Stück „Tropfen auf heiße Steine“, das allerdings erst 1985, drei Jahre nach seinem Tod, uraufgeführt wurde. Aus einem Abenteuer wird hier eine feste Beziehung: Der junge Franz hat Sex mit dem wesentlich älteren Leopold. Er verlässt seine Freundin Anna und zieht zu seinem neuen Freund. Doch die kleinbürgerliche Umgebung und das konventionelle bürgerliche Setting kontaminieren die Beziehung innerhalb kürzester Zeit. Franz wird zur Hausfrau und Leopold zum nörgelnden Pantoffelheld. Machtspiele, Verletzungen, Demütigungen und Scham sind die Folgen. Als Anna Franz zurückzugewinnen versucht, bringt Leopold seine Ex-Freundin Vera ins Spiel – am Ende schlafen alle miteinander und keiner ist glücklich. Tom Müller bringt Fassbinders Stück auf die Bühne des Theaters der Keller.
„Liliom“ | R: Sascha Hawemann | 15.(P), 21.2. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Tropfen auf heiße Steine“ | R:Tom Müller| 7.2.(P) 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Einstürzende Bergwelten
„Monte Rosa“ am Theater der Keller – Prolog 02/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24
Mörderische Gesellschaftsstruktur
Georg Büchners „Woyzeck“ am Bonner Schauspiel – Auftritt 01/24
Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23
Schleudergang der Pubertät
„Frühlings Erwachen: Baby, I‘m burning“ am Theater der Keller – Auftritt 11/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Nicht gerade familientauglich
„Frankenstein Junior“ an der Oper Bonn – Musical in NRW 10/23
Komik der Apokalypse
„Die Matrix“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 10/23
Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23
Sonnenstürme der Kellerkinder
1. Ausbildungsjahr der Rheinkompanie – Theater am Rhein 08/23
Doktrin des American Dreams
„Von Mäusen und Menschen“ am Theater Bonn – Prolog 08/23
„Die starke Kraft der Träume anzapfen“
Intendant Heinz Simon Keller über „Die Matrix“ am Theater der Keller – Premiere 08/23
Flucht auf die Titanic
„Muttertier“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Lesarten des Körpers
„Blueprint“ in der Außenspielstätte der Tanzfaktur – Prolog 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24
Parolen in Druckerschwärze
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 03/24
Schwarzblühende Bestie
„The Feral Womxn“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 02/24
Der Schlüssel zum Glück
Rheinkabarett mit neuem Stück in Bonn – Prolog 02/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
„Wir wollten die Besucher:innen an einem Tisch versammeln“
Subbotnik zeigt „Haus / Doma / Familie“ am Orangerie Theater – Premiere 02/24