Die besten Freunde sind die, die sich angeblich am meisten hassen. Wie zum Beispiel Islamhasser jeder Couleur und islamische Fundamentalisten. Einträchtiger können Feinde nicht sein: Ihr Weltbild der Abgrenzung, ihr Plädoyer für ‚traditionelle‘ Werte, ihre Aufklärungsfeindschaft sind völlig deckungsgleich. Da passt kein Papier zwischen. Und genau das steckt letztlich hinter der Äußerung des türkischen Außenministers, wenn er von „Religionskriegen“ in Europa faselt: Es sind die Kriege, die Rechtsradikale zusammen mit Islamofaschisten gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anzetteln. Ein ähnliches Szenario hat der deutsch-jordanische Journalist und Schriftsteller Yassin Musharbash in seinem Kriminalroman „Radikal“ beschrieben, den das Theater Bonn jetzt auf die Bühne bringt. Der HeldLutfi Latif ist ein charismatischer Intellektueller mit ägyptischen Wurzeln, ein muslimischer Grünenpolitiker, in dem sich nicht ganz zu Unrecht Omid Nouripour wiedererkannt hat. Latif wird in den Bundestag gewählt und gerät prompt ins Fadenkreuz von Radikalen. Radikalen beider Seiten. Da sind zum einen die nationalistischen Islamophoben um den Staatssekretär Enzo Graether, denen die Integrationspolitik Latifs zu wirkungsvoll ist. Und da ist das Terrornetzwerk al-Qaida, das erfolgreich im Berliner Regierungsviertel einen Anschlag auf den Vorzeigemuslim verübt. Bei den Ermittlungen von Latifs Assistentin, einem Terrorexperten und einer Journalistin tun sich erstaunliche Verbindungen zwischen Zehlendorfer Villen, sozialen Brennpunkten und Extremistentreffpunkten auf.
Wer derzeit ein Theaterstück über die Türkei machen will, hat nicht viele Alternativen.
Umso mehr, wenn es sich dabei nicht um einen bereits bestehenden Text handelt, sondern um ein Rechercheprojekt, in das der aktuelle Wissenstand einfließen kann und soll. Thema und Titel der neuen Produktion von Nuran David Calis am Schauspiel Köln stehen seit Monaten fest: „Istanbul“. Gemeint ist die Stadt als Sehnsuchtsort, als kulturelles Aushängeschild, als Metropole, als Spielball der Politik – so steht es derzeit noch auf der Homepage der Bühnen. Doch kann man ein Stück über Istanbul machen, ohne auf die absurde deutsch-türkische Polarisierung einzugehen. Ein theatralisches Porträt der Stadt, in dem das Referendums-Tohubwabohu keine Rolle spielt – auch wenn die Premiere erst auf den 13. Mai angesetzt ist, also vier Wochen nach der Wahlentscheidung in der Türkei? Der türkische Innenminister meinte sogar, Deutsche seien an den Unruhen im Istanbuler Gezi-Park schuld gewesen. Nuran David Calis ist bekannt dafür, die türkischstämmige Community (diesmal u.a. Doğan Akhanlı und Kutlu Yurtseven) in seine Kölner Recherchestücke einzubinden. Das dürfte jetzt auch nicht mehr so reibungslos funktionieren, wie bei den Stücken über den NSU oder den Glauben. Der Amoklauf der türkischen Politik hat Spuren bei Türken wie bei Deutschen hinterlassen, die selbst nach dem Referendum noch nachwirken dürften.
„Istanbul“ | R: Nuran David Calis | 13.5. (P) | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
„Radikal“ | R: Mirja Biel | 19.5.(P), 21.5. 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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