Das Wallraf-Richartz-Museum ist ein Ort faszinierender Kunstwerke und spannender Ausstellungen. Das Zweite gilt erst recht für „Es war einmal in Amerika“, weil diese Schau fast ausschließlich aus Gemälden uns kalt erwischt und wir uns zunächst mit Unverständnis, Irritation und schließlich doch Begeisterung durch den Ausstellungsparcours begeben.
Tatsächlich ist der Realismus mancher der Gemälde, mit denen die Ausstellung Mitte des 17. Jahrhundert – in der Kolonialzeit – einsetzt, flach. Gerardus Duycking zum Beispiel mit seinem „Porträt eines Jungen aus der Familie De Peyster, mit einem Reh“ (um 1730/35), malt die Figuren schematisch. Duycking hat die Motive aus Druckgraphiken anderer Künstler übernommen, aus denen die Auftraggeber wählen konnten, und ist in der Schlichtheit der Übersetzung wohl noch deren puritanischem Geschmack gefolgt. Gerade den frühen Gemälden der Ausstellung liegt an der Formulierung von Nationalstolz – 1776 wird die Unabhängigkeitserklärung formuliert – etwa in den Politikerporträts oder in der Verwendung heroischer Motive, zumal in Verbindung mit Historiengemälden. Aber die heldenhaften Szenen sind lediglich ein Teil dieser mitunter hochkomplexen Bilder.
John Singleton Copleys „Watson und der Hai“ (1782) geht auf ein Ereignis im Hafenbecken von Havanna zurück, in dem ein Hai einen Jungen angegriffen hat. Gezeigt wird nun, wie die Besatzung eines Kahns den Jungen rettet und den Hai mit dem Bootshaken attackiert. Singleton Copley hat von der europäischen Tradition gelernt, die er einige Jahre vor der Bildentstehung auf Studienreisen durch Europa kennengelernt hat. So ist die Körperhaltung des zustechenden Matrosen von Guido Renis Erzengel Michael im Kampf gegen Satan beeinflusst.
Die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum veranschaulicht ein allmähliches Hineintasten in die europäischen Stile, was man in der Sammlung des Museum natürlich grandios mitverfolgen kann. Die Romantik findet sich etwa in Thomas Coles „Vertreibung, Mond und Feuerschein“ (um 1828) mit einer Steinbrücke in einer kargen, gebirgigen Landschaft. Es geht um die Verjagung von Adam und Eva aus dem Garten Eden und die glühende Düsternis der Darstellung übernimmt den allegorischen Part. Beim Steinbogen aber hat sich Cole an den White Mountains von New Hampshire orientiert. Andere Gemälde zeigen die Landschaft als Weite mit tief sitzendem Horizont und spiegeln die geographischen Eigenheiten der Vereinigten Staaten wider. Hinzu kommt die Ehrfurcht vor der Natur. Im 19. Jahrhundert lassen sich auch europäische Maler in den USA nieder, etwa Albert Bierstadt aus Solingen oder der Rheinländer Emanuel Leutze, der in der Ausstellung leider fehlt. Mit dem Impressionismus setzt dann ein Austausch mit britischen Künstlern ein; zugleich wird Paris zum Zentrum der internationalen Kunst. Eine Gegenbewegung initiiert die Ashcan School unter der Leitung von Robert Henri, der zunächst in Philadelphia und nach 1900 in New York lehrte und etwa John Sloan und Maurice Prendergast ausbildete. Der atmosphärischen Weite wird die Kleinteiligkeit des Molochs Großstadt entgegengesetzt. Erneut klingt der Überlebenskampf bei den Boxspektakeln von George Bellows und George Benjamin Luks an, denen es noch um die Milieuschilderung des Publikums ging.
Mit Edward Hopper findet eine Hinwendung zum Seelenleben des einzelnen Menschen statt, ehe sich New York anschickt, Paris den Rang als Welthauptstadt der Kunst abzulaufen. Das geschieht mit dem abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei, die im Wallraf-Richartz-Museum ziemlich knapp abgehandelt werden. Die USA führen damit wahrscheinlich erstmals globale Stile an. Inwieweit sie dabei ihre Identität bewahren, wäre eine Fragestellung für eine andere Ausstellung – für andere Museen. Also, das Wallraf-Richartz-Museum hat seinen Job sehr gut gemacht.
Es war einmal in Amerika | bis 24.3. | Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud | 0221 22 12 11 19
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