Wie sich die Untaten und ihre Mechanismen über die Jahrhunderte gleichen! Für das Zusammenspiel von Macht und sexualisierter Gewalt, das heute dank der MeToo-Bewegung ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist, gibt es Berichte in allen Zeiten. Eine zentraler Beitrag dazu ist die alttestamentarische Schilderung von Susanna, die von zwei als Richter eingesetzten Ältesten beim Baden im Garten beobachtet und mit der Drohung, ihr einen angeblichen Ehebruch zu unterstellen, sexuell bedrängt wird. Sie widersetzt sich, wird angeklagt und zum Tode verurteilt und nur durch den jungen Propheten Daniel gerettet, der die Alten der Lüge überführt.
Etliche Meisterwerke der Kunstgeschichte widmen sich dieser Erzählung. Sie konzentrieren sich weitgehend auf die Szene von Susanna mit den beiden Männern und heben besonders die Tugendhaftigkeit von Susanna hervor, der ein reiches Spektrum an Facetten zugeschrieben wird. Zu den weiteren Motiven gehören die Darstellung von Nacktheit und die Beschreibung des Voyeurismus, die bildliche Konfrontation von Jugend und Schönheit mit dem Alter und mit Hässlichkeit. Die Alten sind unangenehm in ihrer Annäherung, verschlagen und dreist in ihren Berührungen. Auch geht es um das Darstellbare, die Grenzen und die Aufgaben von Kunst, die moralisch unterweisen und in die Gesellschaft hineinwirken will.
Das Wallraf-Richartz-Museum hat zu dieser Erzählung nun 90 Werke aller Disziplinen zusammengetragen, einsetzend mit einer Scheibe aus Bergkristall aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, die das erste bekannte Kunstwerk dazu ist. Es folgen illustrierte Handschriften, Holzschnitzereien und ein Hochzeitskästchen mit Elfenbein-Täfelchen. Ausgestellt ist sogar die früheste Fassung der Susanna-Erzählung, die um 200 n. Chr. auf Papyrus geschrieben wurde.
Und dann sind im Museum die großartigen Gemälde aus aller Welt. Ein berühmtes Bild von Jacopo Tintoretto von 1555 fehlt allerdings, weil es von seinem Besitzer, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, derzeit geblockt wird. Immerhin wartet die Kölner Ausstellung mit einem anderen, erst kürzlich dem Manieristen zugeschriebenen Gemälde auf, das eine noch ganz andere Übersetzung der komplexen Thematik zeigt.
Die Ausstellung fächert mit ihren Beispielen auf, wie akribisch und engagiert dieses Sujet paraphrasiert, interpretiert und in einzelnen Aspekten vertieft wurde und mit der jeweiligen Ikonographie zu immer neuen Bildlösungen führte, mit Gemälden etwa von Jan Massys, Guido Reni, Anthonis van Dyck, Delacroix oder Lovis Corinth. Wichtig ist, wie Künstlerinnen das Thema umgesetzt haben. Aus der Kunstgeschichte werden Artemisia Gentileschi und Angelika Kauffmann „gehört“, aber die Ausstellung enthält auch einige Beispiele der Gegenwartskunst. Und dann hat Heike Gallmeier als jüngste Künstler:in im Hinblick auf die Ausstellung eine Bildinstallation geschaffen. Präsentiert im Foyer des Wallraf-Richartz-Museums, bezieht sie sich direkt auf das abwesende Meisterwerk von Tiepolo: Sie ersetzt dieses durch den Blick der heutigen Zeit, aus der Perspektive einer Frau.
Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo | bis 26.2.23 | Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud | 0221 22 12 11 19
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