Es ist ein guter Zeitpunkt, einen neuen Blick auf Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“ zu werfen. Schlesien, 19. Jahrhundert: Den Webern geht es dreckig, Mechanisierung und Industrialisierung setzen ihnen zu. Die Löhne werden gekürzt, Arbeitsplätze gehen verloren. Die Armut frisst sich durch ganze Familien, die Erwachsenen sind genauso unterernährt wie die Kinder, die mitarbeiten müssen. Als ein Junge zusammenbricht, kommt es zu Protesten gegen den Unternehmer Dreißiger. – Gerhart Hauptmanns Drama hat im Weberaufstand in Schlesien 1844 sein historisches Vorbild und stellt erstmals kein Individuum ins Zentrum, sondern eine Gruppe – sozusagen die Klasse als handelndes Subjekt. 1892 war das revolutionär und entsprach der historischen Situation. Heute sind wir von einem Klassenbewusstsein weit entfernt. Und das, obwohl die Situation sich nicht wirklich verbessert hat. Eine Textilindustrie gibt es zwar in Deutschland nicht mehr. Sie hat sich längst ins globale Ausland verlagert, wo Erwachsene und Kinder nach wie vor für erbärmliche Hungerlöhne schuften. Billigtextilmärkte verscherbeln die Produkte dann zu einem Spottpreis hierzulande. Und bedienen damit auch eine Klientel in Deutschland, die selbst unter der Armutsgrenze lebt. Jeder achte Deutsche verdient weniger als 50 Prozent des Medianeinkommens und gilt als arm. Unter Kindern und Jugendlichen sind es sogar 20,2 Prozent. In einem der reichsten Länder der Erde wohlgemerkt. Und was Arbeitnehmern in Folge von Digitalisierung blüht, wagt man nicht mal zu albträumen. Gleichzeitig sind im vergangenen Jahr die Vermögen der Reichen in Deutschland um 7 Prozent gestiegen.
Doch wer will sich schon die Hände schmutzig machen? Von Protesten braucht niemand auch nur zu träumen. Mehr als populistische Wahlakte sind nicht drin. Was ist schon ein Aufstand gegen ein neues Handy? Von Idealismus ist weit und breit nichts zu sehen. Und selbst wenn er sich mit Realismus und Pragmatismus verbindet, ist das eine prekäre Sache, das hatte schon Jean-Paul Sartre erkannt. Sein Stück „Die schmutzigen Hände“ spielt das Drama an dem jungen Intellektuellen Hugo durch. Er engagiert sich während der deutschen Besetzung Frankreichs in der kommunistischen Partei, wird aber zunächst nur in der Redaktion der Parteizeitung eingesetzt. Als aber Parteiführer Höderer sich pragmatisch mit nationalistischen Kräften einlässt, um den Einfluss der Kommunisten nach der Befreiung abzusichern, erkennen die Dogmatiker ihre Stunde. Sie schleusen Hugo als Sekretär ein, um den Vorsitzenden zu erledigen. Doch Hugo gerät in Höderers Bann und handelt erst nach einer vermeintlichen persönlichen Demütigung. Auch wenn von revolutionärer Stimmung keine Rede sein kann, bleibt doch die Frage, wie angesichts prekärer werdender Zustände zu handeln wäre. Eine bessere Frage kann man sich im Karneval nicht stellen.
„Die Weber“ | R: Armin Petras | 2.2.(P) | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
„Die schmutzigen Hände“ | R: Marco Štorman | 22.2.(P), 4., 17., 23.3. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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