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Liebe und Hiebe
Foto: Belyaaa / Adobe Stock

Von Bäumen und Bräuten

26. August 2020

Der moralische Wankelmut der Menschen – Glosse

 

„Er ist ja sooo groß!“, staunt meine Partnerin so überwältigt, dass sie nach Luft schnappt, während sie ihn auspackt. Auf den Knien nestelt sie an der Verpackung herum. Es war eine Mordsarbeit, ihn einzupacken.

„Natürlich ist er groß!“, sage ich.

Ich habe meiner Freundin einen Baum geschenkt.

Einen richtigen Baum von Statur und Format, mit langer Geschichte und festem Charakter. Keinen dieser Zahnstocher Prädikat „naturbelassen“ aus dem Baumarkt. Keine dieser bemitleidenswerten Miniaturen, keines dieser Zellstoff-Abziehbilder, keine dieser dendrologischen Lächerlichkeiten, dieser beschämenden Kapitulationen der Flora vor dem Menschen.

Nein, ein Baum ist es, der holzt und der harzt, wenn man ihn schneidet.

Ein Baum, den eine richtige Rinde kleidet,

eine Borke wie auf den Leib geschnitzt und geschnitten, denn der Baum, der macht das selbst, er ist handwerklich sehr begabt, er ist Schneider und Schreiner zugleich – und dabei hat er nicht einmal Hände!

Eine Rinde, eine Borke, einzigartig damasziert wie der Fingerabdruck eines unglaublichen Riesen. Eines Riesen, der dich mit diesen Fingern berühren will und du lässt es zu. Denn wer hat gesagt, dass nicht auch Titanen zärtlich sein können?

Ein Baum mit Myriaden von feinen Zweigen,

die keck wachsen und im Wind sich neigen.
Die delikat ziselierte Muster über unseren Köpfen bilden. Wenn wir nach oben schauen, wirken sie wie die Kapillaren der Atmosphäre, als ob der Baum unmittelbar den Himmel selbst nähren möchte.

Und an diesen Zweigen stecken Knospen, unschuldige grüne Pfropfen der Hoffnung. Sie träumen davon, einmal ein smaragdenes Meer zu bilden, gemeinsam zu wispern und zu tanzen.

Ein Baum mit einem Stamm voll Tugend und Stärke,
dem Bollwerk für währende Taten und Werke.

Seit Äonen trägt er schon die Krone der Schöpfung hoch erhoben. Der Stamm wirkt stolz und ist doch demütig. Er trägt alles, was uns wichtig ist, gebührend empor, die Landmarke für unser Zusammenleben. Er ist wichtig, weil er stark ist, er ist stark und deshalb ist er unbeugsam. Und unbeugsam wird er bleiben bis zu seinem letzten Tag … Tack! Tack! Tack!

So höre ich die Axt meiner Freundin Stücke aus dem Stamm schlagen.

„Ein Stamm, sie zu wärmen, sie alle zu hüten, in Bequemlichkeit zu treiben und mit seinen unsagbar vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten zu beeindrucken.“

So setzt meine Begleiterin mein Loblied in spöttischem Ton fort. Sie ist geschickt mit ihrem Werkzeug, wie eine Primabeilerina führt sie Hieb um Hieb, gezielt und wie von einem unsichtbaren rabiaten Choreografen geführt. Ich bewundere ihre Präzision und Kraft und mir fällt auf, dass ich bei aller Achtung für Bäume doch nur ein Mensch, doch nur ein Mann bin und mich starke Bräute, die zupacken, doch mehr interessieren als stramme Bäume, die den ganzen Tag nur doof in der Gegend rumstehen. Das muss man einfach axtzeptieren und so nehme ich wie beil-läufig ebenfalls meine Axt in die Hand.

Schließlich soll meine Freundin die ganze Arbeit nicht alleine machen. Und außerdem soll sie heute Nacht noch einmal sagen: „Er ist ja so groß!“

Epilog:

Unsere Nachfahren haben noch viel mehr Verwendungsmöglichkeiten für Bäume gefunden. Wenn sie sie zum Beispiel fällen, häckseln, mahlen und zerpampen, machen sie Papier draus, auf das sie Werbeprospekte drucken. Und wenn sie die Bäume in der wichtigen Rolle als Platzhalter ansehen, können sie diese Platzhalter irgendwann entfernen und geile Soja-, Kaffee- und Ölpalmplantagen sowie Rinderweiden anlegen. Und weil sie Kaffee, Fleisch und Palmöl so geil finden, die Platzhalterbäume aber nicht so, werden unsere Nachfahren dank heftigem Klimawandel geröstet, überschwemmt, weggehurricanet oder eingeblizzardet. Aber das ist mir und meiner Freundin ja egal.

Unser Baum ist ein Bett geworden. Also trägt der eine Mitschuld daran, dass unsere Nachkommen überhaupt existieren. Böser Baum. Hätte er sich mal nicht so groß aufgespielt. Ich bin bescheiden. Ich bin nur ein Mensch. Ich finde ficken wichtiger als Grünzeug und bin moralisch flexibel.


Mein Freund der Baum - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

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www.koelner-stiftung.de | Die Kölner Stiftung fördert jedes Jahr rund 10 bis 15 Projekte für Tier- und Artenschutz.

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Marek Firlej

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