Seit dem Frühjahr 2015 präsentiert das Filmforum NRW seine ganz eigenen „Filmgeschichten“. In drei zusammenhängenden Reihen geht das Programm drei unterschiedlichen Lastern nach. Den Anfang machte das „Spiel“ gefolgt vom „Geld“. Wenn es mit den ersten beiden Aspekten gut läuft, könnte man sich genüsslich dem „Müßiggang“ hingeben, es geht aber auch ohne Geld. Wie unterschiedlich das aussehen kann, erforscht die Reihe nun in ihrer dritten Staffel. Die Zusammenstellung ist wieder erfrischend unbeschränkt, umspannt über 80 Jahre Filmgeschichte, verschiedene Genres, wechselt von Mainstream zu Autorenfilm und streift auch Experimente.
Das Naheliegendste ist nicht unbedingt verkehrt: Und so startet die finale Staffel mit Fellinis „Die Müßiggänger“ (Do 10.3. 19 Uhr) von 1953, der eine Clique unentschiedener Kleinstadtbewohner am Anfang ihres Erwachsenenseins beobachtet. Es folgt mit Robert Siodmaks und Edgar G. Ulmers „Menschen am Sonntag“ (So 20.3. 15 Uhr) ein Blick in die Stummfilmzeit (der Film wird mit Klavierbegleitung vorgeführt): Der Film begleitet ganz unspektakulär die Vergnügungen zweier junger Frauen mit zwei Männern, die sich für einen Tag am See verabreden. Ein leichtes, sinnliches Vergnügen, ganz untypisch für seine Zeit und von dokumentarischer Anmutung, ist der Film noch ganz unberührt von dem Schrecken, der kurz darauf Deutschland ergreifen wird. „Tausendschönchen“ (Do 14.4. 19 Uhr), ein tschechischer Experimentalspielfilm von 1966, zeigt hingegen zwei junge Frauen, die die Welt lustvoll vorführen, attackieren, zerlegen: Anarchie! Eric Rohmers ein Jahr später entstandener Film „Die Sammlerin“ (Do 12.5. 19 Uhr) beobachtet zwei junge Männer und eine Frau, die in einer Villa am Meer die Zeit totschlagen und umeinander herum kreisen. Einem zeitgenössischen Kritiker erschien der Film „wie von einem anderen Stern, aus einer anderen, späteren Zeit“. Ein Blueprint des Slackerfilms ist May Spils‘ wiederum ein Jahr darauf entstandener Film „Zur Sache, Schätzchen“ (Do 9.6. 19 Uhr) von 1968 – offenbar eine gute Zeit für Müßiggänger. Wie Werner Enke um Uschi Glas scharwenzelt, ist unvergesslich und der Film ein großer Fundus für coole Sprüche. Es schließt sich ein weiterer deutscher Gammlerfilm an: Ulrich Schamoni stellte uns 1974 als Regisseur und Hauptdarsteller einen Privatier in einer Villa vor, der demonstrativ und ohne sein Domizil zu verlassen in den Tag hinein lebt und sich damit den Zwängen der Gesellschaft entzieht („Chapeau Claque“, Do 25.8. 19 Uhr). Auch Jim Jarmuschs Protagonist in seinem Debüt „Permanent Vacation“ (Do 8.9. 19 Uhr) von 1980 entzieht sich der Gesellschaft, allerdings nicht räumlich: Er streunt durch das Brachland eines desolaten New Yorks. In John Hughes‘ erfolgreicher Teeniekomödie „Ferris macht blau“ (Mi 5.10. 19 Uhr) treffen sich 1986 auf höchst unterhaltsame Art Anarchismus und Hedonismus, Widerstand und Lebenslust. Mit „The Big Lebowski“ (Do 10.11. 19 Uhr) von den Coen-Brüdern wird dann an einen etwas lakonischen und fatalistischen Tonfall aus den 90er Jahren erinnert, den Paolo Sorrentino mit seinem bildgewaltigen Film „La Grande Bellezza“ (Do 8.12. 19 Uhr) von 2013 als Abschluss der Reihe elegant fortführt.
Alle Vorführungen werden begleitet von Einführungen von Filmkritikern und -historikern, sämtliche Filme werden im originalen Filmformat gezeigt. Das Schulkinoprogramm „Schule des Sehens“ ergänzt die Reihe um ein didaktisches Modul, für das einige der genannten Filme, aber auch andere, kindgerechte Filme für Schulklassen ausgewählt wurden.
Filmgeschichten: Müßiggang | 10.3.-8.12. | Filmforum NRW | www.filmforumnrw.de
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