Als ich früher den Begriff „Zocken“ hörte, dachte ich an Jungs und miefige Turnschuhe. An Shooterspiele, in denen Frauen allenfalls als vollbusige, leichtbekleidete Wesen herumsprangen, die von ihren ach so männlichen Kollegen dramatisch gerettet werden mussten. Computerspiele schienen eine reine Männerdomäne zu sein. Heute klingt das trivial und sexistisch. Längst mischen Frauen mit: vor dem Bildschirm, zocken hier doch inzwischen rund 50 Prozent Spielerinnen, und auf dem Bildschirm als Protagonistinnen. Die 1994 ins Leben gerufene Heldin Lara Croft aus dem Action-Game „Tomb Raider“ war immerhin in ihrem Verhalten eine emanzipierte Version, da sie ihren männlichen Gegnern gleichgestellt war. Gleichzeitig gab ihre und die andererer Heroinen verkitscht überperfektionierte Optik mit ultradürren Extremitäten und überproportional üppiger Oberweite Anlass zu einer neuen Sexismus-Debatte. Zumindest Lara Croft gelang es jedoch im Laufe der Zeit, sich visuell von ihrer Next-Top-Model-Pionierin hin zu einer Frau mit Durchschnitts-Maßen zu wandeln, die erstaunlicherweise auch mit weniger Holz vor der Hütte die Challenges der Computerwelt meisterte.
Im Zuge dieser Transformation auf Protagonistinnen-Ebene hin zu mehr Gleichberechtigung vollzog sich auch ein Wandel auf EntwicklerInnenseite – zu mehr weiblicher Beteiligung an der Kreation von Spielen, teilweise sogar mittels selbstreflexiver Kritik in Anti-Perfektionsspielen wie beispielsweise „Perfect Woman“ von Lea Schönfelder. Ein ironisches Spiel, das die gängigen Perfektions-Klischees hinterfragt. Schönfelder gehört damit in der deutschen Gamer-Szene zu den inzwischen 27 Prozent weiblichen Produzenten, die häufig eher alternative Nischen-Spiele entwickeln, wie aus einer Studie des Verbandes game hervorgeht. Außerdem studieren immer mehr Frauen mit dem Schwerpunkt Spieleentwicklung, was dazu führen wird, dass ihr Anteil weiter steigt. Im Gegensatz zum inzwischen ausgeglichenen Verhältnis bei den KonsumentInnen, ist die Gleichberechtigung bei EntwicklerInnen hinter dem PC jedoch noch nicht erreicht.
Am Cologne Game Lab versucht man diesen Gendergap zu schließen und fördert deshalb speziell weibliche Kreativität. Zwischen 30 und 40 Prozent Entwicklerinnen gibt es hier bereits, verrät die Professorin Odile Limpach, die sich am Kölner Lab um die Finanzierung von Spielen kümmert. „Eine reine Männerdomäne wie noch vor 20 Jahren ist die Gamer-Szene nicht mehr“, so Limpach. „Während ich anfangs als ziemlich einzige Frau in der ursprünglich maskulinen und technikaffinen Branche schief belächelt wurde, hat sich dies maßgeblich geändert.“
Eine der Studentinnen am Cologne Game Lab, die es gewagt hat, in eine ursprüngliche Männerdomäne einzutauchen, ist die 24-Jährige Leonie Wolf. Die Game-Design-Studentin konzentriert sich auf 3D-Spiele. Ihr für einen Preis nominiertes Spiel „Kyklos Code“, das sie gemeinsam mit Kommilitonen entwarf, ist ein 3D-Puzzle, in dem der Spieler in die virtuelle Welt seines eigenen Computers eintritt, um den Virus zu besiegen, der das System befallen hat. Wolf fällt es aufgrund der betonten Gleichberechtigung am Kölner Lab nicht so schwer, sich als Frau in der Branche durchzusetzen, wenngleich sie betont, dass es in der Welt draußen mitunter anders aussieht: „Das Schöne an unserer Uni ist, dass diese Gleichberechtigungsdiskussion nicht wirklich existiert. Für mich ist uninteressant, ob sich meine Teammitglieder als Mann oder Frau identifizieren. Was zählt, ist, dass man kreativ zum Projekt beiträgt, sich gegenseitig inspiriert und voneinander lernt. Ich bin mir aber bewusst, dass es in der ‚echten‘ Welt nicht immer so läuft. Es ist kein Geheimnis, dass sich manche Männer in der Branche gegenüber Frauen überlegen fühlen. Spätestens bei der Gehaltsfrage lassen sich häufig Nachteile für Frauen feststellen. Ich denke, es liegt an den Mitarbeitern und dem Management einer Firma, wie damit umgegangen wird“, so Wolf.
Um Frauen weiter zu fördern, feierte in diesem Jahr am Cologne Game Lab der Female Developer Game Jam Premiere. Ein Event, bei welchem binnen 48 Stunden Spiele im Teamwork zum Thema „Karma“ entwickelt wurden. Ins Leben gerufen hat diese Veranstaltung die 30-jährige Spieleentwicklerin Linda Rendel, die Live Game Managerin bei Ubisoft Blue Byte ist und das #FemDevsMeetup in Düsseldorf organisiert, eine Austauschform speziell für Frauen, die sie in Zukunft auch in Köln veranstalten will. „Videospiele waren immer ein Teil meines Lebens. Mein Großvater war in einem Computerclub, und ich habe schon als Kind bei ihm auf dem Schoß gesessen und beim Spielen von „Die Siedler“ zugeguckt“, so Rendel, der die Unterstützung von Benachteiligten in der Branche am Herzen liegt. „Ich möchte mehr Sichtbarkeit für Frauen in der Industrie schaffen. Repräsentation von Minderheiten, andere Perspektiven und Vielfalt sind mir wichtig. Unser Treffen fokussiert sich auf Frauen, um zu zeigen, dass die Branche auch für sie attraktiv ist, außerdem können sie sich dort austauschen und Vorbilder finden. Es ist schön zu sehen, wie sich über das letzte Jahr Freundschaften entwickelt haben, und dass auch Männer immer wieder an unseren Events teilnehmen und uns unterstützen“. Bei ihrem Arbeitgeber fühlt sich Rendel jedoch nicht benachteiligt, gibt es hier doch inzwischen sogar mehr weibliche als männliche Projektleiter. Auch sitzen bei Ubisoft viele Frauen in Führungspositionen, das Aufsichtsgremium setzt sich je zur Hälfte aus Männern und Hälfte zusammen.
Eine einseitige Fokussierung auf das Thema kann aber sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen, betont Leonie Wolf. Spreche man ständig von Frauenförderung, traue man ihnen teils weniger zu, als sie tatsächlich könnten, degradiere man sie gewissermaßen zu hilfebedürftigen Opfern: „Es ist ein bisschen wie ein Teufelskreis. Zum einen ist es wichtig, offen über dieses Thema zu sprechen, zum anderen kann es nerven, wenn man darauf reduziert wird. Ich wurde mal gebeten, an einem Talk teilzunehmen, und nur, weil ich die einzige Frau war, wurde mir das Thema „Frauen in der Game Branche“ vorgeschlagen. Manchmal möchte ich aber viel lieber so wie meine männlichen Kollegen einfach über meine Projekte reden. Es gibt mir aber ein gutes Gefühl, dass meine Kommilitonen und Professoren so offen und unvoreingenommen mit dem Thema umgehen“, so Wolf.
Bilanz: Eine reine Männerdomäne ist Zocken schon lange nicht mehr. Und auch auf EntwicklerInnen-Seite tut sich Spannendes, wie Institutionen wie das Cologne Game Lab und junge Entwicklerinnen wie Linda Rendel und Leonie Wolf beweisen. Noch schöner wäre es allerdings, wenn jeder Mensch – egal welchen Geschlechts – einfach das produzieren könnte, was sie oder er möchte. Unabhängig seines Geschlechts. Bei gleichem Gehalt.
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