Es ist keine Zwangsehe: Der als Teufel verkleidete Priester (Markus J. Bachmann) traut einen Uniformierten (Birte Schrein) und seine Braut (Linda Belinda Podszus) vor einem Altar. Gemeint ist die Macht, vulgo Putin, und die russisch-orthodoxe Kirche, also Putins ideologischer Buddy Patriarch Kyrill I. Das Bonner Schauspiel bringt Nadja Tolokonnikovas Manifest „Anleitung für eine Revolution“ auf die Bühne.
Zur Erinnerung: Im Februar 2012 inszenierte die feministische Punk Band Pussy Riot eine Kurzaktion in der Christi Erlöser Kathedrale in Moskau. Sie machten sich darin genau über diese Beziehungen zwischen Macht und der Kirche lustig. Es folgten die Verhaftung von Nadja Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch sowie Gerichtsprozesse und Straflager. Den Drangsalierungen begegnete Tolokonnikowa mit Hungerstreiks. Nach ihrer Freilassung gingen die Schikanen weiter, es folgten neuerliche Verhaftungen. 2016 veröffentlichte sie ihre „Anleitung für eine Revolution“, die eine Mischung aus Autobiographie und feministisch-aktivistischem Manifest darstellt.
Auf der Bühne der Bonner Werkstatt stehen drei unterschiedliche hohe, schlanke Podeste, die als Altar, als Hocker, aber auch als Zellen dienen. Während Markus J. Bachmann sich die Nägel lackiert, erfährt man Lustiges über das traditionalistische Geschlechterverhältnis und Sex in Russland, aber auch über Schönheitswettbewerbe in Lagern. Dabei wird auch klar, dass sichrussischer Feminismus und westlicher Diversity-Aktivismus nicht umstandslos kurzschließen lassen.Es gibt Anleitungen für clandestine Aktionen, also wie man Autobatterien als Stromaggregat benutzt, Handys zerlegt, Weißbrot und Wasser für eventuelle Verhaftungen dabei hat. Das Trio schlüpft während des Abends in unterschiedliche Rollen, Markus J. Bachmann fallen dabei die kirchlichen Rollen zu, Birte Schrein die von Polizei und Justiz und Linda Belinda Podszus, die zusammen mit Max Immendorf den Abend eingerichtet hat, die der Aktivistinnen. Genüsslich wird das geldgierige Eventmanagement der orthodoxen Kirche bloßgelegt. Es folgen detaillierte Beschreibungen der Lagerhaft in Mordwinien, der Zwangsarbeit und der Prügel. Das Trio sitzt in den nach vorne offenen Podesten quasi in Einzelhaft.
Der Abend muss als Symptom betrachtet werden. Die Aktion von Pussy Riot in der Christi Erlöser Kathedrale war weniger Revolution, als rebellisch-performativer Akt. Ihre mediale Bedeutung dürfte größer gewesen sein als ihre politische, doch genau darum geht es in Sachen medialer Hegemonie. An der Pussy Riot-Aktion zeigt sich aber auch, dass das Regime Putin heute autoritärer als 2012 ist und dass derzeit weniger performativ-künstlerische, als militante Aktionen angesagt sind. Der Bonner Abend macht uns einerseits die Hilflosigkeit angesichts der aktuellen russischen Brutalität klar und erfüllt deshalb die Funktion des delegierten Protests. Andererseits haben Nadja Tolokonnikova und ihre Mitstreiterinnen enorme Zivilcourage bewiesen und ihre „Erbinnen“ sind derzeit eindeutig die Frauen im Iran.
Pussy Riot – Anleitung für eine Revolution | R: Linda Belinda Podszus, Max Immendorf | Schauspiel Bonn | 31.10., 8.11. | 0228 77 80 08
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