Im August steckt Köln ein wenig im kulturellen Sommerloch, allerdings nicht die Mülheimer Kneipe Limes. Ein ganz normaler Slam-Abend ist es aber auch nicht, denn einige der vorangekündigten Slammer glänzen mit Abwesenheit. Da Poetry Slams von ihrer Spontanität leben, eilen Julia Roth und Tom Schildhauer, die an diesem Abend nur im Publikum sitzen wollten, nach Hause und holen ihre Texte. Schließlich muss der zweite Geburtstag des Poetry Slams „Slam ohne Grenzen“ gebührend gefeiert werden. Moderator Kristian Schmidt aka No Limit trägt schließlich extra eine rote Fliege.
Das Publikum vergnügt sich derweil mit Mexikaner-Schnäpsen, denn für jedes mitgebrachte Partyhütchen gibt es einen Kurzen. Genauso spontan geht der Abend weiter, denn keiner der Slammer hat bei schwülem Wetter so richtig Lust auf einen Dichterwettstreit, also treten die sechs Poeten ohne Konkurrenzdruck auf.
Gastgeber No Limit startet mit seinem Potpourri aus abgewandelten Sprichwörtern und hat die Lacher des Publikums sicher. Mit erhobenen Zeigefinger und strenger Miene sagt er: „Lieber den Schnaps in der Hand als die Traube auf dem Dach…wir waren jung und verrauchten das Geld. Pott sei Dank.“ Völlig unberührt von den Lachsalven jongliert er mit Lebensweisheiten und beendet den Auftritt mit: „Reden ist Silber und Geigen aus Holz.“
Slammer und Moderator der Veranstaltung „Die offene Wunde“ Christian Gottschalk empfiehlt zunächst sein Buch „Vereinigung der Freunde des Münzfernglases“. Daraufhin liefert er sich doch noch einen verbalen Wettstreit mit seinem Slam-Kollegen Alexander Bach darüber, ob die Zuschauer eher Sticker oder Bücher benötigen. Gottschalk betont den zu seinem vorgestellten Buch beigelegten Mitgliedsausweis zur „Vereinigung der Freunde des Münzfernglases“ und das Publikum kichert. Danach arbeitet er sich aber lieber an Dingen ab, die er nie tun möchte: „Niemals eine Rafting Tour buchen in einem Land in dem die Bevölkerung an Wiedergeburt glaubt.“
Alexander Bach, Slam-Urgestein der Kölner Szene, belustigt mit einem zweideutigen Telefonat mit einem Marketing-Mitarbeiter, der ihm ein Rotwein-Abo verkaufen wollte. Er haucht die Worte: „Wenn Sie nichts dagegen haben, mache ich es mir bequem.“ ins Mikrophon und streicht sich dabei zärtlich über die Brust. Die Zuhörer danken es mit Johlen, das sich weiter steigert, als Spontan-Slammerin Julia Roth von ihrem Kiffer-Road Trip mit ihrer Clique auf Mofas Richtung Holland berichtet. Dort funktionierte sie aus Mangel an Zigarettenblättchen ein bewohntes Schneckenhaus zur Pfeife um. Die Schnecke schaute dabei als wollte sie sagen: „Du brauchst es nötiger als ich.“
Lisa Schøyen trägt Blumenkränzchen und verzaubert die Zuhörer mit ihrem emotionalen Text „In fünf Anläufen gescheitert“ und der Erkenntnis, dass Tee ja doch nicht „gegen alles hilft.“
Slammer Tom Schildknecht begeistert mit seinem philosophischen Ansatz: „Das Leben ist eh nur ein Jump and Run und du bist Super Mario.“ Die Zuschauer honorieren das mit viel Applaus und es wirkt so, als würde keiner den Wettbewerbscharakter an diesem Abend vermissen.
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