Schon seit vielen Jahren veranstaltet Moderator Alexander Bach den „The word is not enough“-Poetry Slam im Kölner Blue Shell. Wie der Veranstaltungsname schon erahnen lässt, bedient man sich der James Bond-Ästhetik: Zwischen den Slam-Runden ertönen die Soundtracks der Filme, der Moderator hat sich in einen schicken Smoking geworfen. Er bezeichnet den Poetry Slam treffend als „Armdrücken der Worte“ und so haben sich sieben Verbal-Dichter eingefunden, um auf der Bühne mit ihren Texten gegeneinander anzutreten. Über den Sieger darf das zahlreich erschienene Publikum mit Hilfe von Stimmzetteln entscheiden.
Wie es bei Poetry Slams oft der Fall ist, sind sehr viele der Beiträge deutlich in das Genre der „Comedy“ einzuordnen, denn diese erfreuen sich meist auch der größten Beliebtheit beim Publikum. Auch an diesem Abend überwog der Anteil der humorvollen Texte, es gab jedoch auch den einen oder anderen Slam-Poeten, der ernsthaftere Töne anschlug. Wie zum Beispiel Leonie Ader, die die Geschichte einer Freundin erzählt, die sich schnell als ihre größte Feindin entpuppte. Es geht um die Magersucht als zerstörerische Begleiterin des Alltags, die am Ende zum Glück in die Flucht geschlagen werden kann. In dieselbe Kerbe schlägt Annika Hilger. Sie tritt zwar zum ersten Mal bei einem Poetry Slam auf, kann jedoch mit ihrem souveränen Text zum Thema „Schizophrenie“ viel Beifall ernten. Das Publikum des Blue Shell wird von den anwesenden Autoren jedoch größtenteils zum Lachen gebracht. Micha-El Goehre macht seine Leidenschaft für Heavy Metal zum Thema seiner Texte. Er trägt aus dem „Tagebuch eines Heavy Metal Fans“ vor und hat die Lacher auf seiner Seite, als er Metal Fans mit Anhängern der „Jungen Union“ vergleicht – die haben nämlich beide keine Freunde. Goehres Spiel mit Klischees und Vorurteilen trifft beim Publikum einen Nerv.
Scheinbar alltägliche und alles andere als komische Themen werden auch von Til Strasser aufgegriffen. Der junge Kölner schafft den Einzug ins Finale mit einem charmanten Text über das oberflächliche Frauen- und Männerbild, das in Lifestyle-Magazinen präsentiert wird. Das Blue Shell brüllt vor Lachen, obwohl es noch kurz davor sehr leise im Publikum wurde. Es war ein herzlicher und lustiger Abend, der die Ereignisse in Paris vom vergangenen Freitag kurz vergessen ließ. Finalist Markus Mohr holt diese jedoch mit seinem Vortrag schnell zurück ins Gedächtnis aller Anwesenden. Er entwickelt eine dystopische Zukunftsfantasie und stellt so die Frage: „Was wäre, wenn der Islamische Staat gewinnen würde?“. Mohr beschreibt eine Welt, die nur noch aus Schutt und Asche besteht, in der Männer sich bereitwillig selbst zur Strafe die Hände abhacken und Frauen sich in dunklem Schwarz verhüllen, bis auch der letzte Hauch von Weiblichkeit vollkommen verschwunden ist. Eine Welt, in der selbst ein Terrorist sich umsehen würde, und bemerken müsste, dass es jetzt nur noch eins gibt: Hass. Wo Sprachlosigkeit anfängt und das Verstehen aufhört, findet Markus Mohr einen Weg, Terror und Gewalt einfühlsam lyrisch zu verarbeiten. Am Ende gewinnt er den Poetry Slam mit nur einem Punkt Vorsprung. Doch das ist längst nebensächlich geworden.
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