Die Bühne sieht aus wie eine Turnhalle beim Abschlussball. Zwei Seiten sind mit silbernen Vorhängen geschmückt, links stehen ein Flügel und ein langer Tisch mit Instrumenten und Notebooks, hinten rechts eine lange Bank. Auch die elegante Kleidung der eintretenden Schauspieler, Musiker und Sänger könnte auf ein Fest hinweisen. Ihren Schülerjahren sind sie entwachsen, aber eine unfertige Offenheit scheinen sich diese Frauen und Männer bewahrt zu haben. Wie sie sich durch den Saal bewegen, ergibt das eine einzigartige Mischung aus der Zombie-Choreografie in „Thriller“, einem Flashmob, der lebensfrohen Bürgersteig-Performance im „Praise You“-Video von Spike Jonze und Namentanzen in der Waldorfschule.
Es fällt schwer, selbst im Sitzen zu verharren, wenn der 15köpfige menschliche Klangkörper zu dem live erzeugten musikalischen Sausen und den lyrischen bis banalen Wortkaskaden kollektiv über die Bühne schwappt oder atomisiert aufeinander zu- und voneinander wegstrebt. Poetry in Motion, in Bewegungen übersetzte Poesie – nicht weniger als das haben die Künstlerinnen und Regisseurinnen Alexandra Dederichs und S. E. Struck („SEE!“) aus dem Text von PeterLicht gemacht. Der Musiker und Autor hat ein großes, fast siebzig Minuten umfassendes Lied an und um die Krise verfasst, das in dieser Uraufführung zu einem Fluss anschwillt, von dem man sich idealerweise mitreißen lässt. Das funktioniert dann gut, wenn man trotz der schön und klug evozierten Bilder keine tiefergehende gesellschaftlich-wirtschaftliche Lagebeschreibung oder eine traditionelle Handlung erwartet.
„Wir flitzen ohne Fetzen nackt, wie uns die Krise schuf, durch das gleißende, überschäumende, euphorische, alles beinhaltende, ganzheitliche, arkadische Superdefizit“, intoniert Maik Solbach, und das übrige Ensemble fällt ein mit Wiederholungen, Verstärkungen, Beatbox-Einlagen, Stammesgesängen oder einem gurgelnden Chor aus Mimimis, Pssssts und Brrrrs. Hat einer eine Soloeinlage (wie Andreas Grötzinger mit seiner herrlich absurden „Ohjeohjeohje“-Schüttelnummer über Krisenverkäufer), rotten sich die anderen konspirativ bis ängstlich zusammen, bis sie selbst wieder fortgetragen werden vom Mahlstrom der Buchstaben.
Dass der Text so geschmeidig fließt und funkelt, liegt auch am musikalischen Bett von Christoph „Mäcki“ Hamann, Ben Lauber und Nils „Slin“ Tegen. Ihr kosmisches Getöse nimmt uns mit Streichern und Synthesizern in Empfang, wächst sich aus zu furiosen Melodien und Rhythmen und reißt niemals ab. „Wenn man hinhört, hört man einen Ton / wenn man aber nicht hinhört, keinen“ heißt es im Stück, doch zumindest ein elektronisches Piepsen bleibt im Ohr wie ein theatraler Tinnitus. Wenn am Ende Ton, Text und Spiel den Rahmen sprengen und weitere Assoziationshallen eröffnen, wenn die Vorhänge beiseitegeschoben werden und das Sausen in die Außenwelt dringt, bleibt man definitiv mit Fragezeichen zurück, aber auch mit einem beseelten Lächeln über dieses extraordinäre Theatererlebnis.
„Das Sausen der Welt. Eine Raumeroberung“ von PeterLicht | R: SEE! | Schauspiel Köln | 4.-6.3. 19.30 Uhr | www.schauspielkoeln.de
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