„Ich habe keine Geduld für Accessoires“, weist Cristina das Angebot ihrer Mutter zurück. In diesem beiläufigen Satz liegt eine ganze Welt beschlossen. Scheiß auf den Chichi, es geht darum, einen Job, eine Wohnung zu haben, es geht um Liebe, Schwangerschaft und Zukunft. Cristina, die Protagonistin in Lavinia Branistes Roman „Null Komma Irgendwas“ („Interior Zero“), schuftet als Übersetzerin in der Baufirma von Liliana, die als Unternehmerin mit Geldern jongliert, trickst und besticht. Bettina Muckenhaupt gibt ihr den bärbeißigen Charme einer Self-made Woman, die ständig am Handy hängt. Zugleich ist Cristina auf der Suche nach einer trockenen und sauberen Wohnung, sie hat eine Fernbeziehung zu Mihai (Markus Penne im Video), geht mit ihrer Freundin Otilia (Sina Peris) tanzen, wird schwanger und hat eine Fehlgeburt.
Es ist die trostlose neoliberale Welt des gegenwärtigen Rumänien, das bis heute mit dem zerstörerischen Mottenfraß der Korruption und der machtgeilen sozialdemokratischen PSD ringt. Mirjam Birkl spielt Cristina zwischen Naivität, Lebenslust, Abgeklärtheit und Frust – und unterschlägt dabei etwas Wesentliches: Die Desorientierung, den Wertverlust und die emotionale Indolenz eines Lebens, das nur noch auf Substanzerhalt ausgerichtet ist. Inka Neuberts Inszenierung flüchtet sich in Konvention. Zwischen zwei Plastikplanen und Bauschuttsäcken treffen sich die Figuren abwechselnd zum Dialog in der Bühnenmitte, rocken in der Disco kurz ab, besprechen Geschäftliches, treffen sich zum One-Night-Stand, chatten, streiten sich. Bezwingend und berührend ist das selten. Da war mehr drin.
„Null Komma Irgendwas“ | R: Inka Neubert | 31.12. 18.30 Uhr, 2., 5., 30./31.1. u. 13./14.2. je 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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