Jeder Trickster braucht einen Trottel, den er übers Ohr hauen kann. Wenn also einerseits die Schwindler und Hochstapler im September die Bühnen im Rheinland bevölkern, dann gehören die Gutmeinenden, die Trottel und die Träumer als Gegenstück mit dazu. Wobei der gemeine Vollpfosten in der Regel literarisch geadelt werden muss: Durch die Komödie, durch den Abenteuerroman, durch das Lehrstück, um also das Scheitern nicht zur Tragödie verkommen, sondern lehrreich erscheinen zu lassen.
Die Heilsarmistin Johanna Dark liefert das schlagende Beispiel für blinden Idealismus und sozialen Konformismus. Mutig missionierend wirft sie sich den hungernden Arbeitern in Chicagos Fleischfabriken an den Hals. Diese brauchen allerdings keinen Gott, sondern etwas zu essen. Johanna nimmt sich also den Fleischkrösus Pierpont Mauler – einen Clemens Tönnies der 20er Jahre – vor, der die Idealistin nett, hübsch und überzeugend findet. Doch wenn es ums Geld geht, hört der Spaß bekanntlich auf: Johanna bleibt die nützliche Idiotin einer kapitalisierten Nahrungsmittelindustrie. Laura Linnenbaum wirft am Theater Bonn einen Blick auf Bertolt Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ und dessen Aktualität in Sachen Sklaverei in Fleischfabriken.
Ein anderer opportunistisch Verblendeter ist der Pariser Literaturprofessor Francois, ein Verehrer der literarischen Dekadenz im Stil eines Joris Karl Huysmans. Der Held in Michel Houellebecqs satirischem Roman „Unterwerfung“ verkörpert perfekt das Symbol für den Niedergang politischer, moralischer und gesellschaftlicher Werte. Er lebt allein vor sich hin, von Sexabenteuern mit Studentinnen abgesehen, zelebriert seine Einsamkeit und erlebt plötzlich, wie sich Frankreich in der Stichwahl gegen Marine Le Pen und für den muslimischen Kandidaten Ben Abbès als Präsidenten entscheidet. Das ganze Land kollaboriert willig angesichts des moderaten Regierungsstils und sinkender Arbeitslosenzahlen: Francois tritt sogar zum Islam über, erhält ein höheres Gehalt und drei Frauen gratis dazu, die jüngste ist 15 Jahre alt. Heinz Simon Keller zeigt am Theater der Keller, dass es sich in der Unterwerfung ganz gut leben lässt.
Ein weiterer, derzeit geschätzter Vertreter der naiven Spielart ist „Don Quijote“. Cervantes’ Held hat bereits Windmühlen in Oberhausen und Bochum bekämpft. Jetzt nimmt er sich die hinterhältigen Feinde seiner angebeteten Dulcinea in Bonn und Köln vor. Dass der fahrende Ritter zu viele Abenteuerromane gelesen hat, ahnen zwar seine Nächsten. Doch sie spielen das Illusionsspiel weitgehend mit, auch wenn der Don gelegentlich die Hucke vollkriegt. Am Theater Bonn schicken das Regie-Duo Hajo Tuchy und Jacon Suske den fahrenden Ritter in die Pampa der Mancha, am Kölner Theater im Bauturm im November der junge Regisseur Kieran Joel.
„Unterwerfung“ | R: Heinz Simon Keller | 8.(P), 9., 23., 30.9. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 30 59
„Don Quijote“ | R: Hajo Tuchy, Jacon Suske | 10., 13., 15., 21., 29.9.(P) 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ | R: Laura Linnenbaum | 22.(P), 26., 30.9. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Don Quijote“ | R: Kieran Joel | Sa 25.11.(P) 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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