„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind…“, da kann auch schon mal der Größenwahn grassieren. So hat Er das zwar nicht gemeint, aber „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab lassen sich in ihrer Bigotterie nicht beirren. In der Wohnküche geraten Erna, Grete und Mariedl in einen Wettstreit, wer das Tal des Jammers am tiefsten durchschritten und die Leistungsschau des Glaubens am besten absolviert hat. Kaum lässt das Trio den „ganzen Lebensschmutz“ hinter sich, öffnet sich der Garten Eden der Sehnsüchte: Für Erna hält er einen religiös inbrünstigen Traummann bereit, Grete schwärmt sich durch erfüllte Nächte mit einem Musiker. Die jüngste und ärmste, das Mariedl, wird zum himmlischen Notdienst der verstopften Toiletten, die sie mit bloßer Hand reinigt und dafür zur Madonna der Wasserklosetts erklärt wird – zumindest in ihrer Phantasie. Das erste von Schwabs so genannten „Fäkaliendramen“ ist bis heute ein Klassiker und wird am Theater Bonn von Robert Gerloff inszeniert.
Nicht minder wahnsinnig ist das Trio in Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“, die Simon Solberg ebenfalls am Theater Bonn auf die Bühne bringt. Der Wissenschaftler Möbius hat sich zwar freiwillig in die Psychiatrie begeben, um seine bahnbrechende Entdeckung einer schlüssigen Gravitationslehre nicht in die Hände größenwahnsinniger Weltvernichter fallen zu lassen. Bevor die Welt verrücktspielt, spielt er lieber selbst den Verrückten. Doch seine Mitpatienten Einstein und Newton – eigentlich Geheimagenten - haben seinen Trick längst durchschaut und sind ihm in die vermeintliche Sicherheit der Heilanstalt gefolgt. Da immer wieder die Gefahr der Entlassung droht, ermorden die drei nacheinander jeweils eine Schwester. Doch die eigentlich Durchgeknallte ist die Anstaltsleiterin Mathilde von Zahnt, die dem Trio längst auf die Schliche gekommen ist...
Auch die Truppe, die sich unter dem Motto „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern“ (natürlich auch Schwestern) auf irgendeiner Blümchenwiese trifft, hat ziemlich schräge Ideen im Kopf. Sie gründen eine Eidgenossenschaft und beschließen, sich gegen die Willkür der Landvögte zu wehren. Gute Idee, nur mit der Einigkeit ist das so eine Sache. Das Schweizer Volk hat zwar die Nase von der Gängelei voll, doch der Adel hängt zwischen den Stühlen Kaisertreue und Eigenständigkeit fest. Nicht dabei ist auch der Öko Wilhelm T., der lieber mit seiner Familie im Wald vor sich hin lebt. Bis er den Hut des Landvogts Gessler nicht grüßt und einen Granny Smith von der Locke des Sohns schießen soll. Dann ist Schluss mit Ökoruhe und Wilhelm T. holt die Armbrust raus: Durch diese hohle Gasse muss er kommen... Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann bringt seine Basler Inszenierung von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ in die Domstadt und schüttelt den Mythos ordentlich durch: Frauen werden zu Männern, Täter zu Opfern...
„Die Präsidentinnen“ | R: Robert Gerloff | 6., 10., 13., 18., 25., 27.10. 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Die Physiker“ | R: Simon Solberg | Sa 4.11. 19.30 Uhr & So 5.11. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
„Wilhelm Tell“ | R: Stefan Bachmann | 10.11.(P) 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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