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„Die Letzten“
Foto: David Baltzer

Letzte Ausfahrt Expo

27. Juni 2013

Sebastian Nübling inszeniert zum Ende Gorki – Auftritt 07/13

Das war’s dann also. Auf Karin Beiers Intendanz in Köln wartet die Theatergeschichte, die sie selbst noch schnell schreiben lässt, aber dazu später mehr. Den Schlussakkord setzte Sebastian Nübling mit der farcehaften Inszenierung eines Stücks von Maxim Gorki: „Die Letzten“, geschrieben 1907/8 im Exil auf Capri, nun gut 100 Jahre später im Interimsquartier Expo auf die Bühne gebracht. Der Stücktitel bietet allerlei Steilvorlagen für Kalauer – dass der Letzte das Licht ausmacht, wenn ihn nicht die Hunde beißen, während er sein Hemd hergibt und so weiter. Geschenkt, wenn Nübling einem diese Assoziationen nicht so leicht machen würde. Am Modell einer korrupten, kaputten und inzestuös verbandelten Familie erzählt er mit und gegen Gorki über Mechanismen von Macht und Herrschaft, stellt bürgerliche Spießigkeit in ihrer Verlogenheit aus und sorgt ansonsten für das, was Brecht als den Zweck von Theater beschrieben hat: Unterhaltung.

Die Bühne von Muriel Gerstner spielt passend mit Elementen des Kinos und integriert Standbilder aus Eisensteins Revolutionsfilm „Panzerkreuzer Potemkin“. Wohl damit die Stummfilmästhetik nicht überhandnimmt, stellt Nübling sein Ensemble auf Rollschuhe; eine Idee, die dynamische Bilder produziert und schön anzuschauen, aber für die Schauspieler mit hohem Risiko verbunden ist. Marie Rosa Tietjen stürzte während der Premiere unglücklich und spielte so diszipliniert wie tapfer mit gebrochenem Fuß auf Krücken weiter. Mit ihr stellte ein vermissenswertes Ensemble ein letztes Mal unter Beweis, was den Erfolg des Theaters in Köln die letzten sechs Jahre ausgemacht hat. Wollte man es auf einen Begriff bringen, könnte man von einer sinnlichen Politisierung sprechen. Karin Beier hat es als Regie führende Intendantin verstanden, das Theater als lebendiges Kommunikationsforum zu etablieren. Durch Stoffe, durch Schauspielerinnen, eigenwillige Handschriften anderer Regisseure und die Bildung eines Ensembles, das nun nahezu geschlossen mit ihr nach Hamburg wechselt.

Beier hat die Bühnen der Stadt Köln geöffnet: für neue Formen und für die internationale Freie Szene. Sie hat sich eingemischt, nicht nur im Hinblick auf die Frage Abriss oder Neubau des Schauspielhauses. Vielmehr ging es immer auch darum, dem Theater als Ort öffentlicher Auseinandersetzung einen Platz im Zentrum des Geschehens zuzuweisen – die Suche nach der eigenen Identität und die Traumabewältigung nach dem Einsturz des Stadtarchivs eingeschlossen.

Angesichts der Anerkennung auch durch Nominierungen, Preise und Festivals darf man sich schon mal selbst auf die Schulter klopfen. Karin Beier tut dies durch eine rund 290 Seiten starke Publikation, die in treuer Chronistenpflicht Namen, Daten und Fakten auflistet und alle Inszenierungen durch Fotos dokumentiert. Ergänzt wird der Band durch zwei Aufsätze, die die Intendanz Beier kommunalpolitisch und ästhetisch bilanzieren. Alles Abschiedsweh? Die gute Nachricht: Mit dem Zug ist man in vier Stunden in Hamburg. Schneller geht es allerdings auf die andere Rheinseite nach Mülheim, wo Stefan Bachmann einen neuen Anfang wagt. Toi toi toi!

Schauspiel Köln. Werkschau 2007-2013. Intendanz Karin Beier, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2013, 20 €

SANDRA NUY

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